JA zur Pflegeinitiative

Keti Widmer ist Pflegefachfrau HF und Kampagnenverantwortliche des SBK ZH/GL/SH. Hier ihre Rede an der Personal-/Protestversammlung vom 26. Oktober 2021.

Manch einer mag sich denken: Was geht mich die Pflegeinitiative an? Ich sage euch, die Pflegeinitiative geht uns alle an! Unser Gesundheitswesen steckt schon heute mit einem Bein in einer immer grösser werdenden Krise. Eine Krise, die nur durch eine gezielte Stärkung der Pflege abgewendet werden kann. Diverse Studien belegen, dass mehr gut ausgebildete Pflegefachpersonen (mindestens 80 % dipl. Pflegefachpersonal) das Komplikations- und Sterberisiko der Patienten massiv vermindern und somit auch die Kosten im Gesundheitswesen massgeblich senken können.
Unsere Gesellschaft wird immer älter. Und mit zunehmendem Alter folgen leider oft auch diverse Krankheiten, Medikamente, die eingenommen werden müssen, Arzttermine, die wahrgenommen werden müssen oder notfallmässige Krankenhaus-Einweisungen bei Komplikationen. Erst einmal im Krankenhaus oder im Pflegeheim angekommen, benötigen all diese Personen eine professionelle pflegerische Betreuung.
Aber genau diese Betreuung, die es auch in allen anderen Settings des Gesundheitswesens so dringend braucht, fehlt. Mit 11‘700 unbesetzten Pflegestellen gibt es keinen anderen Beruf, der so viele unbesetzte Stellen vorzuweisen hat wie die Pflege. Doch nicht nur die Stellen, die heute schon nicht besetzt sind, sollten uns Sorgen bereiten. Dadurch, dass konstant zu wenig Pflegefachpersonen ausgebildet werden und der Anteil älterer, kranker Menschen stetig steigt, bewegen wir uns aktuell mit Höchstgeschwindigkeit in eine riesige Versorgungslücke hinein. Diese mit Fachpersonal aus dem Ausland stopfen zu wollen, ist nicht nur unmöglich (weil auch im Ausland immer mehr Massnahmen ergriffen werden, um das Pflegepersonal vor Ort zu erhalten) sondern auch unethisch (weil auch die anderen Länder dringend auf ihre kompetenten Fachkräfte angewiesen sind, in deren Ausbildung sie viel Zeit und Geld investiert haben). Ferner macht uns die bereits heute bestehende Angewiesenheit auf ausländisches Fachpersonal sehr abhängig, was z.B. bei Grenzschliessungen (wie wir sie im Fall von COVID erlebt haben) nicht unproblematisch ist.
Ein weiteres grosses Problem ist, dass die wenigen Pflegefachpersonen, die wir haben, den Beruf dann auch noch frühzeitig verlassen. Aufgrund von sehr strengen Arbeitsbedingungen, gesundheitsschädigender Schichtarbeit, nicht angemessener Entlohnung, wenig Respekt und Wertschätzung von Seiten der Politik und einer schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben steigen 40 % der Pflegefachpersonen frühzeitig aus ihrem Beruf aus, ein Drittel von ihnen sogar noch vor ihrem 35. Altersjahr. Es entwickelt sich ein Teufelskreis: Zu wenig Pflegepersonal bedeutet noch mehr Belastung für das verbliebene Personal, das dadurch im Endeffekt auch zum Ausstieg gedrängt wird.
Die Pflegeinitiative ist das ideale und vor allem das einzige Instrument zur Behebung all dieser Probleme. Wir verlangen eine grossflächige Ausbildungsoffensive durch verbindliche finanzielle Investitionen von Bund und Kantonen. Wenn die Ausbildungslöhne verbessert werden, werden auch mehr Quereinsteiger/innen und Personen, die auf ein ausreichendes Einkommen angewiesen sind, die Pflegeausbildung anpacken.
Es reicht jedoch nicht aus, einfach nur mehr Leute auszubilden. Es muss uns auch gelingen, diese höchst kompetenten Fachpersonen nachher im Beruf zu halten. Und dies kann nur mit besseren Arbeitsbedingungen erreicht werden. Wir brauchen eine fixe Nurse-to-Patient-Ratio, also eine maximale Anzahl an Patienten, die eine Pflegefachperson in einem gewissen Bereich betreuen darf, verlässliche Dienstpläne, familienfreundlichere Strukturen, attraktive berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten und einen unserem anspruchsvollen Job angemessenen Lohn.
Ferner darf die Pflege nicht mehr länger als "Hilfsberuf" der Ärzte angesehen werden. Wir sind eine eigene Berufsgruppe mit eigenen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Viele von uns haben
jahrelang für ihren Beruf studiert und sind durchaus fähig, Leistungen anhand des Pflegeprozesses selbstständig zu verordnen. Dies und ferner auch die selbstständige Abrechnung mit den Krankenkassen muss in Zukunft problemlos möglich sein. Nur so können wir erreichen, dass der wunderschöne Pflegeberuf nicht mehr länger ein Schattendasein fristet. Die unnötige ärztliche Unterschrift generiert nur zusätzlichen administrativen Aufwand ohne jeglichen Mehrwert.
Und nun fragt ihr euch vielleicht noch: Wieso reicht denn der Gegenvorschlag nicht aus? Der Gegenvorschlag fokussiert sich sehr stark auf die Ausbildung von neuen Pflegefachpersonen. Dafür sind auch grosse Geldsummen gesprochen worden. Aber alles Geld der Welt nützt Nichts, wenn die besagten Fachpersonen dann schon nach kurzer Zeit wieder aus dem Beruf aussteigen. Ganz im Gegenteil: Das ist eine unglaubliche Geldverschwendung, die man unserem sonst schon zu teuren Gesundheitssystem eigentlich nicht zumuten kann. Fakt ist: Es gibt keine Behebung des Personalmangels ohne Behebung der erdrückend schweren Arbeitsbedingungen. Dazu kommt: Wenn die Pflegefachpersonen länger im Beruf verbleiben, müssen auch nicht mehr so viele neue Pflegefachpersonen ausgebildet werden, was wiederum zu einer Reduktion der Ausbildungskosten führt.
Oft hören wir auch das Argument, dass eine Berufsgruppe nicht in die Bundesverfassung gehört. Notabene stehen aber bereits die Hausärzte mit der Hausärzte-Initiative (BV Artikel 117a) in der Bundesverfassung. Und wieso? Weil sie ein enorm wichtiger Teil unseres Gesundheitswesens sind. Genauso wie die Pflegefachpersonen auch. Ohne genügend kompetentes Pflegepersonal, wird unser Gesundheitssystem kollabieren. Und ein funktionierendes Gesundheitssystem mit seinen relevanten Komponenten (die nun einmal verschiedene Berufsgruppen sind) gehört sehr wohl in die Bundesverfassung. Ein weiteres Argument für den Gegenvorschlag ist, dass die Pflegeinitiative zu lange braucht, bis sie umgesetzt wird. Auch dies ist nicht der Fall. Zur Umsetzung der Initiative steht der Regierung eine fixe Frist von 18 Monaten zur Verfügung. Diese muss zwingend eingehalten werden.
Und das grosse Schlussargument sind natürlich wie immer die Kosten. Dass all die Massnahmen, die die Pflegeinitiative umfasst, gar nicht finanziert werden können. Die Finanzierung dieser Massnahmen (zusätzliche Lohnkosten von etwa 69 Millionen Franken im Jahr) ist jedoch eine absolut lohnenswerte Investition, da wie bereits erwähnt und in einer Studie belegt damit im Endeffekt Kosten in der Höhe von ca. 357 Millionen Franken eingespart werden können. Das sind nämlich die Kosten, die im Gesundheitswesen jährlich durch Komplikationen, Rehospitalisationen und Behandlungsfehler entstehen. Laut der InterCare Studie wären sogar ganze 42 % der Spitaleinweisungen mit guter Pflege vermeidbar! Die Kosten im Gesundheitswesen steigen nicht an, weil die Pflege exorbitante Löhne verlangt (die Löhne der Pflegefachpersonen machen nur 17 % des Spital-Budgets aus) oder viele, neue, tolle Leistungen erbringen will. Sie steigen an, weil die Bevölkerung immer älter und kränker wird. Das ist ein Fakt, den wir anerkennen und dem wir mit einem gut gerüsteten Gesundheitssystem begegnen müssen.
Ich kann hier und heute mit Sicherheit und absoluter Überzeugung sagen: Die Pflegeinitiative ist nicht eine Lösung, sie ist die einzige Lösung für unser bröckelndes Gesundheitssystem. Sie ist das einzig adäquate Mittel, um die pflegerische Versorgung auch in Zukunft zu sichern. Wir alle werden eines Tages auf gute Pflege angewiesen sein. Deswegen müssen wir jetzt am 28. November die Weichen stellen, um dies zu ermöglichen.

Die Kampagnenseite des SBK zur Pflegeinitiative