Umkleiden ist Arbeitszeit!

Von: Roland Brunner

Wenn man sich für die Arbeit umkleiden muss, ist das Teil der Arbeit und damit Arbeitszeit. Das ist völlig klar und rechtlich eindeutig. Der VPOD fordert dieses Recht für die Spitalangestellten jetzt ein - wenn nötig vor Gericht.

Bild: VPOD

-> Zur Umfrage Umkleidezeit am Universitätsspital Zürich USZ

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Hintergrundartikel:

Hunderttausende nicht bezahlter Arbeitsstunden im Spital

Spitäler beklauen ihre Angestellten!

Eigentlich ist im Gesetz alles recht klar: Die Angestellten sind angestellt, um zu arbeiten. Den Auftrag dafür erhalten sie vom Arbeitgeber resp. dem/der Vorgesetzten. Der Arbeitgeber wiederum ist verantwortlich für die Arbeitsorganisation – von der Infrastruktur bis zur Dienstplangestaltung und den Gesundheitsschutz.

So weit, so gut. Klar ist in diesem System auch, dass es zur Arbeitszeit zählt, wenn die Angestellten Aufträge des Arbeitgebers ausführen. Ob sie dabei eine Ewigkeit auf den Lift warten müssen, weil dieser einfach zu langsam und alt ist, oder ob sie unendlich lange Wege zurücklegen müssen, weil die Abläufe ineffizient gestaltet sind – es liegt am Arbeitgeber, das zu ändern und die Arbeitszeit effizienter zu gestalten. Auch dass sich Angestellte im Spital für die Arbeit umziehen müssen, da sie ja nicht mit den Strassenkleidern in den Operationssaal laufen und eine Operation am offenen Herzen begleiten können, ist eine klare Vorgabe des Arbeitgebers – und damit Arbeitszeit. Im Prinzip. Und im Arbeitsgesetz (ArG). Und laut Seco:

Falls das Umziehen für die Tätigkeit notwendig ist (interne Weisung des Betriebs, nach der Arbeitnehmende sich vor Arbeitsbeginn umziehen müssen), ist die Umkleidezeit als Arbeitszeit anzurechnen. (…) Ist die Situation dem Arbeitgeber bekannt und macht er trotzdem nichts, so ist er schuldig einer Verletzung des ArG.

Die Realität sieht an vielen Orten anders aus. Spitäler stehlen den Angestellten Tausende von Arbeitsstunden, indem sie die Umkleidezeit nicht als Arbeitszeit anrechnen. Rechnen wir am Beispiel des Universitätsspitals Zürich USZ: Laut eigenen Angaben beschäftigte das USZ per 31.12.2017 8214 Angestellte. Von diesen sind 35% (also knapp 3000) in der Pflege tätig. Dazu kommen alle anderen Mitarbeitenden mit PatientInnenkontakt (Physio- und Ergotherapeuten, ÄrztInnen, Hotellerie, Putzdienst, PatientInnenbegleitdienst usw.), für die eine «Umkleidepflicht» besteht. Wir können also damit rechnen, dass etwa zwei Drittel oder rund 5500 Angestellte des USZ sich täglich im Betrieb umkleiden müssen.

Wenn jede/r Angestellte pro Tag 20 Minuten braucht, um sich in der Garderobe umzuziehen und auf die Station zu gelangen (und nach dem Dienst umgekehrt), macht das für das USZ pro Tag runde 1830 Arbeitsstunden, in einer Arbeitswoche von 5 Tagen schon 9170 Stunden und in einem Arbeitsjahr am USZ – Ferien abgezogen – 440'000 Arbeitsstunden! Das entspricht der Arbeit von 220 Vollzeitstellen. Für die einzelne Person sind es immerhin rund 80 Arbeitsstunden im Jahr – also fast zwei Wochen Gratisarbeit. An anderen Spitälern sind die Zahlen kleiner, aber das Prinzip ist das gleiche: Die Spitäler sparen Millionen, indem sie den Angestellten die Umkleidezeit nicht als Arbeitszeit anrechnen. Wenn wir von einem Durchschnittslohn von 85'000 Franken brutto (inkl. Arbeitgeberbeiträge) ausgehen, so ergibt der Lohnklau pro Jahr für das USZ eine Einsparung von 18,7 Millionen Franken! Das ist viel Geld, aber auch wieder nicht so viel, wenn man es mit dem ausgewiesenen Gewinn (2017) von 79 Millionen vergleicht – oder mit den Kosten des neuen Luxus-Baus The Circle am Flughafen Zürich. Geschätzte Investitionskosten: eine Milliarde Franken. Jährlicher Mietzins für das USZ: 9 Millionen Franken für 10'000 Quadratmeter. Am Geld scheint es also nicht zu liegen, dass man die Angestellten systematisch beklaut. Oder muss man eben genau das Personal beklauen, um sich solchen Irrsinn leisten zu können?

Das Fass zum Überlaufen bringt am USZ nun das Projekt Audigard. Mit einem neuen automatischen Kleiderausgabesystem droht die Umkleidezeit nochmals massiv länger zu werden – und damit die Gratisarbeitszeit, die die Angestellten leisten. Das USZ ist sich dessen sehr wohl bewusst. Es kennt auch die klare Stellungnahme des Seco, foutiert sich bisher aber darum. Man redet sich mit technischen Problemen heraus, weil man halt keine Stempeluhren habe, mit der jede Pflegefachkraft die Arbeitszeit bei Betreten und Verlassen des Spitalgeländes erfassen könne.

Der VPOD hat nun interveniert und wird – wenn nötig – die Umkleidezeit auch gerichtlich als anzurechnende Arbeitszeit durchsetzen. Das Seco hält das Verfahren dazu fest:

Folgende Vorgehensweise, die von einigen Arbeitsinspektoraten angewendet wird, sehen wir als geeignete Lösung: Der Arbeitgeber muss mit den Arbeitnehmenden eine angemessene Dauer bestimmen, die als Arbeitszeit für das Umziehen gutgeschrieben wird. Ein internes Mitwirkungsverfahren muss vorgesehen werden (vgl. Art. 48 ArG), um sich über eine Arbeitszeit-Pauschale zu einigen, die dann noch von den Arbeitnehmenden anerkannt und angenommen werden muss. Sobald die Pauschale festgestellt ist, muss sie entweder in das Personalreglement oder in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden. Diese Verfahrensweise verhindert Ungleichbehandlungen und interne Konflikte, falls ein Arbeitnehmer mehr Zeit zum Umziehen braucht als andere.

Der VPOD ist als Vertretung seiner Mitglieder und als anerkannter Sozialpartner des Kantons verbindlich einzubeziehen. Und bei der Gelegenheit werden wir gleich noch eine andere Unrechtmässigkeit anprangern, die das Seco ebenfalls klar bestätigt:

Muss die Person früher kommen, um am Rapport mit den Ärzten teilnehmen zu können, so handelt es sich um Arbeitszeit, die erfasst werden muss.

Auf vielen Abteilungen und in vielen Spitälern ist es «normal», dass die Pflege früher kommt und auch diese Aufgabe – im Interesse der eigenen Arbeit und im Interesse einer guten Pflege der PatientInnen – gratis leistet. Schluss damit. Das Gesundheitswesen ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung, an der man die Angestellten ausnehmen kann. Auch für Spitäler gelten Gesetze.

Wir fordern die Spitäler auf, die gesetzlichen Bestimmungen per sofort einzuhalten und allen betroffenen Angestellten als erste Wiedergutmachung für die jahrelang nichtbezahlten Arbeitsstunden nächstes Jahr zwei zusätzliche Ferienwochen zu geben. Statt über den Fachkräftemangel zu jammern, wollen wir Taten statt Worte sehen. Sonst werden wir sie vor Gericht einklagen - inklusive Lohnnachzahlung für die letzten fünf Jahre.

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