Fokus starke Lernbeziehungen: Die erhoffte Stärkung der Regelklassen bleibt aus

Von: Anna-Lea Imbach

Die integrative Förderung aller Kinder in der Volksschule, inklusive derjenigen mit besonderen Lernbedürfnissen, ist aktuell eines der wichtigsten Themen der Volksschule. Der laufende Zürcher Schulversuch ist dafür jedoch der falsche Weg.

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Starke Regelklassen brauchen qualifizierte Lehrpersonen in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und der schulischen Heilpädagogik (SHP) – und zwar in der Klasse und nicht als beratende Unterstützung. Dies braucht zusätzliche Ressourcen, kostenneutral ist dies nicht zu haben.

Gestern hat die Bildungsdirektion den Schlussbericht der Evaluation des Schulversuchs, die durch das Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich durchgeführt wurde, veröffentlicht. Der Bericht zeigt, dass die Regelklassenlehrpersonen den Versuch im Hinblick auf die Zusammenarbeit positiv einschätzen und auch die Lernbeziehungen zu den Schülerinnen und Schülerinnen als sehr gut beurteilen.

Der Bericht zeigt aber auch, dass die Resultate bei den Schülerinnen und Schülern jedoch anders aussehen: Die Kinder, die Teil des Schulversuchs waren, äussern im Laufe des Schulversuchs eine Verschlechterung der Lernbeziehungen zu den Lehrpersonen. Zudem entwickelte sich die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern in den Versuchsklassen negativer als in den Vergleichsklassen. Besonders auffallend ist, dass Kinder, die Unterstützung in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) erhalten, in Klassen die Teil des Schulversuchs sind, ein geringeres Leistungsniveau aufweisen, als ihre Gspänli in den Vergleichsklassen. Die ForscherInnen betonen, dass es wichtig ist, dem Thema DaZ-Förderung hohe Aufmerksamkeit zu schenken.

Die Ziele des Schulversuchs sind damit – obwohl immerhin der Aufwand für Koordination und Absprache verringert wurde - in wichtigen Punkten nicht erreicht worden: Insbesondere wurde das zweite zentrale Ziel, die Stärkung der Lernbeziehungen zwischen Lernenden und der Lehrperson, das dem Versuch zu seinem Namen verhalf, leider deutlich verfehlt. Verantwortlich dafür sind nicht die Lehrpersonen und die Schulleitungen der Versuchsschulen, sondern die zu simple, oberflächliche und kostenschonende Anlage des Versuchs der Bildungsdirektion.

Der VPOD und der VZL DaZ ziehen daraus folgende Schlüsse:

• Das Ziel, Regelklassen in der Förderung der Kinder mit besonderen Lernbedürfnissen zu stärken, ist richtig.

• Regelklassen stärken erfordert zusätzliche Ressourcen, das heisst mehr Lehrpersonen-Vollzeiteinheiten pro Klasse für vermehrtes Teamteaching. Der Schulversuch mit einer kostenneutralen oder gar kostensparenden Umlagerung bisheriger Ressourcen ist dafür der falsche Weg.

• Regelklassen in der Lernförderung aller Kinder zu stärken, muss weiterhin bedeuten, dass die „GeneralistInnen“ durch „SpezialistInnen“ – DaZ-Lehrpersonen und schulische HeilpädagogInnen – in der Arbeit mit einzelnen Kindern und in Gruppen unterstützt werden.

• Die fachliche Qualität ist in multiprofessionellen Teams höher, wenn Lehrpersonen der Regelklassen, des DaZ-Unterrichts und der schulischen Heilpädagogik in der direkten Arbeit mit den Kindern zusammenarbeiten. Der Versuch, das Fachwissenüber den Umweg über einzelne Beratungspersonen ins Klassenzimmer zu holen, funktioniert nicht.

• Lehrerteams an einer Klasse sollen klein bleiben (z.B. vier Lehrpersonen); es ist jedoch unsinnig, zwei Lehrpersonen als eine verallgemeinerte Bestlösung zu präsentieren.

• Kinder, die neu Deutsch lernen, brauchen Zeit für einen systematischen und sorgfältigen Aufbau des Deutsch. Dafür sorgen qualifizierte DaZ-Lehrpersonen. Wirkungsvolles DaZ-Lernen braucht beides: sowohl die individuelle Förderung durch die DaZ-Lehrperson wie auch die Sprachförderung im Unterricht durch die Regelklassenlehrperson.

• Eine gute Lernförderung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen braucht eine entsprechende Aus- und Weiterbildung sowohl für die „GeneralistInnen“ wie auch für die „SpezialistInnen“. Der Schulversuch ist kein gutes Modell für eine Weiterqualifizierung, denn die flankierende Weiterbildung ist ungenügend, was sich insbesondere bezüglich der DaZ-Förderung zeigt.

• Die Befunde des Schulversuchs – wie auch vieler vorhergehender Studien – zeigen, dass die besonderen Herausforderungen in der Volksschule beim Lern(miss)erfolg der Kinder, die DaZ lernen, liegen. Diese verschärfen sich in Klassen mit besonders hohem Anteil an DaZ-Kindern.

Nimmt man die Befunde ernst, muss für die Erreichung der Ziele des Schulversuches ein anderer Weg eingeschlagen werden: Die Ressourcen müssen erhöht werden und zwar sowohl für die DaZ-Förderung (höhere Zahl von Wochenlektionen für DaZ) als auch für die Vollzeiteinheiten in Klassen mit vielen DaZ-Kindern und/oder Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Der bisherige Schulversuch bringt in diesen Fragen Rück- statt Fortschritte.