Wenn Frau will...

Michèle Dünki-Bättig, Präsidentin der VPOD Sektion Zürich Kanton und SP-Kantonsrätin, hielt vor dem Universitätsspital Zürich USZ eine flammende Rede zum Frauen*streik.

Liebe Frauen
Liebe solidarische Menschen

Wir schreiben das Jahr 2019 in einem der reichsten Länder der Welt. Der Schweiz.

50.5% der Schweizer Bevölkerung wird benachteiligt. Weil sie weiblich ist!

  • Im Jahr 2019 in der Schweiz verdienen Frauen für die gleiche Arbeit immer noch weniger, als ihre männlichen Kollegen. Aber halt: ihr müsst nun nicht den Beruf wechseln, wenn ihr gleich viel verdienen wollt wie die Männer! Wenn nämlich der Frauenanteil in einem Beruf steigt, sinkt dessen Lohnniveau. Praktisch!
  • Im Jahr 2019 in der Schweiz arbeitet das grosse Mehr der Frauen Teilzeit und leistet den Löwinnenanteil an die Familienarbeit. Teilzeitarbeitende Männer sind selten. Und exgüsi, ein Papitag die Woche, der uns Frauen ein Niedrigpensum ermöglicht, zählt hier nicht.
  • Im Jahr 2019 in der Schweiz werden Frauen Pensionskassen diskriminiert. Sie arbeiten, hören bei der Familiengründung auf oder arbeiten Teilzeit, leiden unter dem Koordinationsabzug und sind akut bedroht und Altersarmut – sollte sich ihr Zivilstand noch auf «geschieden» ändern.
  • Im Jahr 2019 in der Schweiz ist die Haus- und Sorgearbeit Frauenarbeit. Und ratet? Gerade mal 10% diese geleisteten Care-Arbeit wird entlöhnt! Die restlichen 90% werden nicht bezahlt. Und über zwei Drittel dieser nicht bezahlten Arbeit wird von Frauen geleistet. Wir brauchen eine Gesellschaft, die Haus- und Sorgearbeit anerkennt und fair entlöhnt. Unsere Care-Arbeit subventioniert die gesamte Wirtschaft. Wenn Arbeit nicht bezahlt wird, erhalten wir auch keine Rente. Mit ein Grund für die tieferen Renten der Frauen und das erhöhte Risiko, im Alter von Armut betroffen zu sein. Deshalb braucht es eine Anerkennung der Care-Arbeit – mit Lohn, mit Pensionskasseneinlagen!
  • Im Jahr 2019 in der Schweiz stirbt alle zwei Wochen eine Frau* an sexistischer Gewalt. Und zwei von fünf Frauen* erfahren in der Partnerschaft im Laufe ihres Lebens physische und/oder sexuelle Gewalt. Und da stimmt dann auch das Wording nicht: es wird in den Medien von «Familiendrama» gesprochen – was suggeriert, dass die Betroffene jeweils mitschuldig wäre, weil sie beispielsweise ihren Partner verlassen wollte. Wir müssen diese Tode aber als das benennen, was sie sind: Femizide!
    Um die Situation der von Gewalt betroffenen Frauen* zu verbessern, muss die Schweiz die Istanbul Konvention anerkennen und lückenlos umsetzen: Betroffene müssen vor psychischer, physischer und sexueller Gewalt geschützt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Wir wollen keine Gesellschaft, die sexistische Gewalt akzeptiert!
  • In der Schweiz 2019 gehört mein Körper mir. Denken wir zumindest. Wenn wir aber genau hinschauen, sehen wir, dass wir Frauen von Kindesbeinen an in eine Idealvorstellung unseres Körpers gedrängt werden: wir sollen schlank sein. Attraktiv angezogen. Schön geschminkt. Die Werbung zeigt uns tagtäglich unnatürliche Frauenkörper, Zeitschriften geben uns Diättipps und Bodyshaming ist real. Das muss aufhören! Wir wollen eine Gesellschaft, in welcher jeder Körper gut ist.
  • Im Jahr 2019 in der Schweiz sind Frauen und damit auch Politikerinnen in den Medien untervertreten. Im «Club» auf SRF waren 2018 zum Beispiel 67% der Gäste Männer, in der «Arena» waren es 70% und beim traurigen Spitzenreiter «Schawinski» sogar 82%. Natürlich gibt es genügend kompetente Frauen, die Medienschaffende einladen können. Aber es ist leider heute noch so, dass die Einladenen meist schlicht und einfach nicht an Frauen denken. Und wenn dann jemanden bewusst wird, dass «noch eine Frau fehlt», dann wird nach Zufallsprinzip eingeladen – nicht nach Fachgebiet. Das führt dann dazu, dass Frauen ihre Teilnahme absagen. Und das wiederrum führt dann dazu, dass sie nicht oder weniger eingeladen werden. Nun könnte man meinen, dass das nicht so schlimm ist. Ist es aber! Es gibt eine Studie der Universität Freiburg, die gezeigt hat, dass vor den Nationalratswahlen 2015 massiv weniger über die weiblichen als über die männlichen Kandidierenden berichtet worden ist. Das Resultat kennt ihr alle: Im Nationalrat sitzen gerade einmal ein Drittel Frauen, im Ständerat sogar noch weniger.

Ich könnte ewig so weiter machen. Ich habe auch ganz viele Themen nicht angesprochen, die mich unter anderem persönlich stark betreffen. Wenn wir uns erst einmal mit unsere Frau-sein in der Schweizer Gesellschaft beschäftigen, fallen uns diskriminierende Verhaltensmuster erst recht auf. Von unangebrachten Komplimenten, von Mansplaining, von Fragen nach der Familienplanung, und und und. Ihr wisst, was ich meine!

Aber heute stehen wir gemeinsam vor dem USZ. Deshalb möchte ich noch einige Dinge zum Gesundheitswesen loswerden:

Wir brauchen endlich die gesellschaftliche Anerkennung der Pflegeberufe! Wie kann es sein dass Banker, die Milliarden versenken, Millionen-Boni erhalten? Aber für Frauen, die Menschen pflegen, gibt es kein Geld?

Gesundheit ist unser höchster Gut. Trotzdem ökonomisieren wir das Gesundheitswesen weiter: Immer mehr, immer schneller, nur noch für die Rendite. Pflegefachfrauen werden zur Manipuliermasse, um den Ertrag zu steigern: Arbeit auf Abruf, Heimschicken, wenns grad nichts zu tun gebe, was dem Spital Geld bringt, Verdichtung der Arbeit, immer mehr Bürokratie am PC statt Pflege am Bett… Und falls ihr Euch nun fragt, was das mit «Frauenanliegen» zu tun hat? Am USZ liegt der Frauenanteil in der Pflege bei 82.6%!

Ich habe vorher von unserer Altersvorsorge und der Pensionskassendiskriminierung gesprochen. Gerade im Gesundheitswesen ist das meiner Meinung nach besonders prekär! Aus Selbstschutz arbeitet kaum eine Pflegefachfrau über 40 noch 100%. Um den Job überhaupt auszuhalten, reduziert ihr eure Stellenpensen. Und bezahlt dafür doppelt: Weniger Lohn und weniger Altersguthaben, weil ihr ja auch weniger in die Pensionskasse einbezahlen. Um den Job auszuhalten, müsst ihr Einbussen bei der Altersvorsorge in Kauf nehmen! Wir fordern einen Job, den man auch tatsächlich 100% machen kann!

Und dann noch ein anderer Gedanke: Frühere Pensionierung statt Kaputtschuften: Bauarbeiter erhalten eine volle Rente mit 60, weil sie harte Arbeit leisten. Und ihr? Inzwischen scheiden mehr Pflegefachkräfte wegen berufsbedingter Invalidität aus dem Erwerbsleben aus als Bauarbeiter. Das zeigen die Statistiken der Versicherungen! Wir fordern deshalb: eine volle Rente mit 60 Jahren – wie die Bauarbeiter!

Und erlaubt mir, noch auf unsere aktuelle Kampagne «Umkleidezeit» einzugehen: Wenn Männer sich während der Arbeit umziehen müssen – zum Beispiel bei der Feuerwehr, bei der Polizei, beim Abfallwesen usw. – dann ist das meist ganz klar Arbeitszeit. Wieso? Weil sie Männer sind? Und wir? Ziehen wir uns um, weil wir Freude daran haben? Im Gesundheitswesen ist das Umkleiden genauso Arbeitszeit wie in jedem Männerberuf. Also soll es endlich auch so bezahlt werden.

Heute sagen wir laut und deutlich: es reicht! Und nicht nur am 14.6 reicht es uns – nein, an jedem verdammten Tag! Wir haben genug von einer Zweiklassen-Geschlechts-Gesellschaft.

Wir streiken heute für gleiche Rechte, gleichen Lohn und für eine Gesellschaft, die Frauen nicht als Objekte sondern als Menschen wahrnimmt. Als gleichwertige - gleichwichtige Menschen! Wir bestreiken ein System, welches uns unterdrückt, wir bekämpfen das Patriarchat, welches uns kleinhalten will, wir stehen auf gegen die Sexualisierung unseres Frauseins.

Denn: Wenn Frau will, steht alles still!