Integrationsagenda Kanton Zürich – Lücken in der Bildung und Berufsintegration von jungen Geflüchteten

Von: VPOD Lehrberufe

Der Regierungsrat hat die Zürcher Integrationsagenda beschlossen. Der VPOD Lehrberufe sowie NGOs und Freiwillige, die mit Geflüchteten arbeiten, begrüssen das Ziel, Geflüchtete rascher und besser zu integrieren. Jedoch reichen die beschlossenen Massnahmen nicht aus, allen jungen Geflüchteten Deutschkenntnisse, Allgemeinbildung, Berufsvorbereitung und berufliche Bildung zu vermitteln, wie es die Zielsetzung verlangt. VPOD, NGOs und Freiwillige sind enttäuscht, dass sie als gute KennerInnen der Lage der Geflüchteten nicht in die Erarbeitung einbezogen worden sind. Sie halten die Zürcher Agenda für nicht ausreichend und fordern rasche Ergänzungen und Verbesserungen.

Der Runde Tisch «Bildung und Berufsintegration von Geflüchteten», ein Austausch- und Vernetzungstreffen von NGOs und Freiwilligen, hat die Situation intensiv diskutiert. Viel zu wenig Geflüchtete, nämlich schweizweit nur rund ein Drittel, sind im fünften Jahr nach Einreise erwerbstätig oder in einer Berufsbildung. Bisher war im Kanton Zürich zu beobachten, dass junge Geflüchtete oft ein bis zwei Jahre ohne substanzielle Bildungsangebote warten und untätig herumsitzen mussten und dass sie zwischen Wartezeiten, wenig intensiven Deutschkursen und Beschäftigungsprogrammen hin- und hergeschoben wurden.

Das soll sich mit der Integrationsagenda des Bundes und des Kantons nun ändern. Der Bund erhöht sein Engagement für Vorläufig Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge und leistet dafür ab 1. Mai 2019 eine erhöhte Integrationspauschale von Fr. 18’000 Franken pro Person. Am 15. Mai hat der Zürcher Regierungsrat das kantonale Umsetzungskonzept veröffentlicht (Beschluss vom 24. Mai 2019). Der vorgesehene Ausbau der «Erstintegration» (Triage, Basiskurse Deutsch, Integrationsbegleitung, Einzelfallfinanzierung) ist zu begrüssen, ebenso ein neues «Zentrales Bildungsangebot für Jugendliche und junge Erwachsene» sowie die Unterstützung von Mentoringprogrammen. Jedoch bleiben weiterhin Lücken bei den Bildungsangeboten. Wenn insbesondere Geflüchtete im Alter von 17 bis 25 Jahren Zugang zu gleichwertigen Ausbildungen (Berufsbildung, Mittelschule und Uni) wie alle andern jungen Menschen erhalten sollen, muss die kantonale Integrationsagenda in den folgenden Punkten ergänzt und verbessert werden:

  • Ausbau der «Basiskurse Deutsch und Integration»: Die Basiskurse müssen zu einem Ganztagesprogramm ausgebaut und die Zahl der Plätze muss erhöht werden.
  • Ausbau der «integrationsorientierten Berufswahljahre» (BVJ): In den öffentlichen Berufswahlschulen sind Plätze in bewährten integrationsorientierten BVJ auszubauen und die Zugangshürden herabzusetzen.
  • Einbezug junger Menschen mit Status N in Bildungsangebote: Basiskurse und BVJ sind ohne Einschränkungen auch für junge Personen mit N-Status (Asylsuchende, die auf den Entscheid warten) zu öffnen.
  • Integrationsvorlehren: Der Kanton muss, zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt, einen Ausbauplan und nach Ende des Pilotversuchs einen Weiterführungsplan verfolgen.
  • Erhöhte finanzielle Investitionen durch den Kanton: So wie der Bund seinen finanziellen Einsatz erhöht hat, ist auch von Seiten des Kantons eine zusätzliche finanzielle Investition nötig.
  • Chancengleiche Behandlung in allen Gemeinden: Alle Gemeinden müssen sich in der finanziellen Unterstützung von Bildungs- und Begleitangeboten für Geflüchtete an gleiche Standards halten.
  • Leistungen der NGOs und der Freiwilligen, Beiträge und Mitsprache: NGOs, die mit Freiwilligen oft staatliche Lücken in der Bildung für junge Leute ab 16 Jahren füllen, sollen finanzielle Beiträge und eine Mitsprache in Fragen der Integrationsagenda erhalten.

Die Bildung junger Geflüchteter ist eine Priorität, doch sind Bildungsangebote auch für andere Alterssegmente auszuweiten.

Mehr Information und Begründungen zu den Forderungen im Anhang:


Am Austausch und an der Vernetzung beteiligt sind: Welcome 2 School; Autonome Schule Zürich (ASZ); Solinetz Winterthur und Zürich; VoCHabular; Internationaler Sozialdienst Schweiz (SSI); Evangelische Landeskirche, Migrationsbeauftragte; Honorabl; SAH, Projekt Anschluss; SRK, Perspektive Arbeit; Sans-Papier Anlaufstelle Zürich; Freiplatzaktion; map-F; VPOD Zürich Lehrberufe


Anhang


Bildung und Berufsintegration von jungen Geflüchteten: Forderungen und Begründungen

  • Ausbau der «Basiskurse Deutsch und Integration»: Diese Kurse sollen Personen, die nach einem Aufenthalt in einem Bundeszentrum dem Kanton und einer Gemeinde zugeteilt werden, rasch Deutschkenntnisse bis A2 vermitteln und eine Erweiterung der Allgemeinbildung ermöglichen. Es ist gut, dass sie neu auf ein Jahr (40 Schulwochen) verlängert werden. Der Kanton sieht aber weiter nur eine Halbtagesschule vor (gemäss Leitfaden für Gemeinden vom 29. April 2019). Für das Sprachlernen und die Allgemeinbildung junger Leute ist dies zu wenig. Die Basiskurse müssen deshalb zu einem vollzeitlichen Programm ausgebaut und die Zahl der Plätze muss erhöht werden, damit zumindest alle jungen Personen den Kurs ohne ungenutzte Wartezeiten besuchen können.
  • Ausbau der «integrationsorientierten Berufswahljahre» (BVJ): Die meisten jungen Geflüchteten brauchen nach einem Basiskurs eine spezifische Vorbereitung auf eine Berufsausbildung. Zu begrüssen ist, dass als neues Brückenangebot ein «Zentrales Bildungsangebot für Jugendliche und junge Erwachsene» mit geschätzten 250 Plätzen vorgesehen ist. Diese Zahl wird nicht genügen. Deshalb muss die Zahl der Plätze in der bewährten Berufsvorbereitung in den öffentlichen regionalen Berufswahlschulen erhöht werden. Dort können sich junge Geflüchtete auf die Anforderungen der Berufsschulen (Deutsch, Mathematik und Allgemeinbildung) vorbereiten, und sie werden in der Berufswahl begleitet. Die Eingangsbedingungen für ein integrationsorientiertes BVJ, die in den letzten Jahren verschärft wurden, sind wieder herab-, die Alterslimiten dagegen hinaufzusetzen. In begründeten Fällen ist nach einem integrationsorientierten auch ein zweites Jahr in einem praktischen, schulischen oder betrieblichen BVJ zuzulassen, damit sich möglichst viele jungen Geflüchtete auf eine Berufsausbildung vorbereiten können.
  • Einbezug junger Menschen mit Status N in Bildungsangebote: Alle jungen Menschen – ob sie in der Schweiz bleiben oder nicht – sollen ihre Zeit hier zum Lernen nutzen können. Deshalb sind Basiskurse und BVJ auch für junge Personen mit N-Status (Asylsuchende, die auf den Entscheid warten) zu öffnen. Das soll gemäss Integrationsagenda nun möglich sein. Allerdings sollen – gemäss Leitfaden – diese Personen nur dann in Basiskurse zugelassen werden, wenn es freie Plätze gibt. Das widerspricht dem beabsichtigten raschen Zugang zur Bildung und dem Grundrecht auf Bildung, das unabhängig vom Status besteht.
  • Integrationsvorlehren: Der laufende Pilotversuch ist ein weiterer guter Schritt in die richtige Richtung, doch reichen die zurzeit rund 100 Plätze im Kanton nicht. Der Kanton muss, zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt, einen Ausbauplan und nach Ende des Pilotversuchs einen Weiterführungsplan verfolgen. Angesichts der grossen Zahl von unbesetzten Lehrstellen und des Fachkräftemangels ist es auch für die Wirtschaft interessant, die Rekrutierung auf die Zielgruppe der Geflüchteten planmässig zu erweitern.
  • Erhöhte finanzielle Investitionen durch den Kanton: So wie der Bund seinen finanziellen Einsatz erhöht hat, wird auch von Seiten des Kantons ein zusätzlicher finanzieller Einsatz erwartet. Die vom Regierungsrat angestrebte Saldoneutralität und die relativ kleine beschlossene zusätzliche Kredit des Kantons können nicht zielführend sein. Konkret sind mehr Mittel nötig, um genügend Plätze in Basiskursen für junge Leute mit N-Status zu finanzieren, sowie Kredite in der Bildungsdirektion für einen Ausbau von Brückenangeboten in der Berufs- und Mittelschulbildung. Das wäre gut investiertes Geld, hat doch der Bund ausgerechnet, dass pro eingesetztem Franken langfristig drei bis vier Franken eingespart werden.
  • Chancengleiche Behandlung in allen Gemeinden (Minimalstandards): Der Kanton und die Gemeinden müssen gewährleisten, dass alle Gemeinden sich in der finanziellen Unterstützung von Bildungs- und Begleitangeboten für Geflüchtete an gleiche Standards halten – und damit die bestehende eklatant ungleiche Behandlung je nach Gemeinde reduziert wird. Deshalb sind verbindliche Minimalstandards zu schaffen, was die Gemeinden in der Bildung und Berufsintegration für Geflüchtete bewilligen und (mit)finanzieren sollen. Das ist umso wichtiger, wenn ab 2021 die Zuständigkeit für den Grossteil der Mittel den Gemeinden zugeteilt wird.
  • Leistungen der NGOs und der Freiwilligen, Beiträge und Mitsprache: Wo eigentlich der Staat zuständig wäre, springen heute oft NGOs und Freiwillige in die Lücken: im Deutschunterricht und in der Schulung von Personen im Alter von über 16 Jahren sowie in der Begleitung der sozialen und beruflichen Integration. Diese Leistungen sind im Beschluss des Regierungsrats nur am Rande angesprochen. Es sind grössere finanzielle Beiträge, als sie jetzt vorgesehen sind (Fr. 200'000 pro Jahr im Bereich «Zusammenleben»), einzusetzen, die zumindest Anteile an Kosten der Leitung, der Infrastruktur, der Weiterbildung und der Spesen von NGOs decken (nicht an Arbeitsleistungen von Freiwilligen selbst). Der Runde Tisch von NGOs und Freiwilligen fordert, dass er in den kantonalen Gremien, die sich mit der Integrationsagenda befassen, mit einer Vertretung Einsitz bekommt und mitsprechen kann.