Gratisarbeit am Spital Limmattal?

Von: Roland Brunner, Sekretär VPOD Sektion Zürich Kanton

Wenn es nach dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich geht, ist Gratisarbeit legal. Der VPOD zieht diesen skandalösen Entscheid vor Bundesgericht.

Der Verband des Personals öffentlicher Dienste VPOD fordert seit zwei Jahren, dass betrieblich verordnetes Umkleiden als Arbeitszeit angerechnet werden muss. Grundlage für diese Forderung ist die Definition der Arbeit, die dem Gesetz zu Grunde liegt: «Die Arbeitspflicht ist die Pflicht des Arbeitnehmers zur Leistung von Arbeit im Dienst des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hat die übernommene Arbeit in eigener Person zu leisten, sofern nichts anderes verabredet ist.» (OR 321) Wenn also der Arbeitgeber eine Tätigkeit der Arbeitnehmenden verordnen kann – zum Beispiel das Umkleiden vor Ort im Betrieb –, ist dies als Arbeit zu werten. Diesem Grundsatz anerkennen sowohl das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco als auch der Regierungsrat das Kantons Zürich und viele weitere Instanzen. Auch sonst findet sich kaum mehr ein/e Expert/in, die das bestreitet.

Es herrscht Vollzugsnotstand

Trotz klar formulierten Vorgaben in der Wegleitung des Seco weigern sich aber viele Spitäler und andere Arbeitgeber weiterhin, diesen Grundsatz umzusetzen und die Umkleidezeit auch zu entschädigen. Auch die Arbeitsinspektorate, die eigentlich der Aufsicht des Seco unterstehen, sitzen die Thematik aus und überprüfen nicht, ob in der überall obligatorischen Arbeitszeiterfassung die Umkleidezeit erfasst wird oder nicht. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit AWA des Kantons Zürich, unter Leitung der FDP-Regierungsrätin Carmen Walker-Späh, dem das Arbeitsinspektorat angegliedert ist, redet sich seit einem Jahr auf Schreiben des VPOD hin mit nichtssagenden Formulierungen aus der Verantwortung. Leider lässt die Schweizer Gesetzgebung es nicht zu, den Grundsatz einmalig mit einer Verbandsklage gesamtschweizerisch gerichtlich durchzusetzen. Stattdessen müsste jede/r betroffene Angestellte selber gegen den eigenen Arbeitgeber klagen, um zu seinem/ihrem Recht zu kommen. Eine gesetzliche Schikane und ein juristischer Missstand sondergleichen.

Der VPOD führt deshalb im Namen vieler seiner Mitglieder Klagen gegen die jeweiligen Arbeitgeber. So auch gegen das Regionalspital Limmattal, das von einem Zweckverband der beteiligten Gemeinden getragen wird. Die lasche Gesetzgebung der Schweiz macht es möglich, dass Spitäler in solchen Zweckverbänden nicht dem Arbeitsgesetz unterstehen – während dieses sowohl für Privatspitäler als auch für die kantonalen Kliniken USZ, KSW, PUK und ipw gilt. Das Spital Limmattal (Limmi) wies die Forderung des VPOD und der klagenden Angestellten zurück. Die Klage ging somit an den Bezirksrat, der sie praktisch ohne inhaltliche Begründung ebenfalls zurückwies. Der VPOD reichte deshalb gegen diesen Entscheid Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ein.

Das Verwaltungsgericht akzeptiert Gratisarbeit

Aber auch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat den Rekurs des VPOD und seiner Mitglieder gegen das Limmi abgewiesen. Der VPOD ist von diesem Entscheid enttäuscht und stellt die Argumentation des Verwaltungsgerichtes infrage. Immerhin: Dass betrieblich verordnetes Umziehen als Arbeitszeit zu erfassen sei, bestreitet das Verwaltungsgericht nicht. Es hält aber fest, diese Arbeitszeit müsse nicht entschädigt werden: «Im Rahmen der Rechtskontrolle sei nicht zu beanstanden, dass es im Limmattalspital üblich gewesen sei, dass die Umkleidezeit nicht zur bezahlten Arbeitszeit gehört habe bzw. bereits im Monatslohn inbegriffen sei.»

VPOD-Sekretär Roland Brunner hält fest: «De facto heisst das, dass laut Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Spitalangestellte, die sich im Betrieb umziehen müssen, Gratisarbeit zu leisten haben. Dieser Entscheid ist aus Sicht des VPOD unfundiert und willkürlich.» Rechtsanwalt Markus Bischoff, der den VPOD und seine Mitglieder vertritt, präzisiert: «Der Begriff der Arbeitszeit beinhaltet eine bezahlte Tätigkeit. Wenn Arbeitszeit nicht bezahlt würde, müsste dies explizit erwähnt werden. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, die Praxis des Spitals sei rechtens, nur weil das immer so gemacht wurde. So könnte jeder Gesetzesverstoss legitimiert werden.»

Erstmalige Klärung vor Bundesgericht

Der VPOD gibt sich in der Sache nicht geschlagen und hat gegen den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichtes beim Bundesgericht per 31. August 2020 in Namen von vier Spitalangestellten Beschwerde eingereicht. Dabei geht es den betroffenen Klagenden und dem VPOD weniger um das eingeklagte Geld als um die Durchsetzung des Grundsatzes. Dass die Angestellten in den letzten fünf Jahren (bis zum Ablauf der Verjährungsfrist) durchschnittlich jedes Jahr zwei Wochen ohne Entschädigung gearbeitet haben, ist das eine. Dass aber weiterhin Tag für Tag durchschnittlich 15 Minuten Arbeit geleistet wird, die nicht einmal in der Arbeitszeiterfassung erscheint – und dass dies nach dem Willen des Spitals auch so bleiben soll – ist nicht akzeptabel. Mit dem vor kurzem fertiggestellten Neubau des Limmi sind die Wegzeiten zur Garderobe zudem für viele nicht kürzer, sondern noch länger geworden.

In der Beschwerdeschrift hält Rechtsanwalt Markus Bischoff, der den VPOD und seine Mitglieder vertritt, fest: «Die Vorinstanz hat in willkürlicher und unhaltbarer Weise nicht erkannt, dass der Beschwerdegegner in rechtsverletzender Art und Weise den Begriff ‘Arbeitszeit’ auslegt.» Und weiter: «Dieser von der Vorinstanz gewählte Ansatz und ihre Auslegung des Reglements verstösst von vorneherein in stossender Art und Weise gegen jetwelche anerkannten Auslegerichtlinien und widerspricht einem bewährten und unumstrittenen Rechtsgrundsatz. Deshalb liegt Willkür vor.» (…) Die Auslegung der Vorinstanz, wonach die Umkleidezeit nicht zur bezahlten Arbeitszeit zähle und im Monatslohn inbegriffen sei, hat nicht nur keine Grundlage im Reglement, sondern widerspricht auch in stossender Art und Weise dem Gerechtigkeitsgedanken.»

Recht bekommen

Einmal mehr zeigt sich, dass Recht haben und Recht bekommen nicht das gleiche ist. Damit einzelne Angestellte bis vor Bundesgericht klagen können, um zu ihrem Recht zu kommen und damit endlich durchgesetzt wird, was längst nicht mehr bestritten wird, sind sie auf ihre Gewerkschaft angewiesen. Sonst hätten sie wohl von vorneherein keine Chance.

Auch gegen das Universitätsspital Zürich (USZ) und gegen das Spital Bülach laufen entsprechende Klagen. Da diese Spitäler alle andere Rechtsgrundlagen haben, muss auch jedesmal ein anderer Rechtsweg beschritten werden. Beim Spital Bülach, das als Aktiengesellschaft privatrechtlich organisiert ist, liegt die Klage beim Arbeitsgericht. Das USZ, wo weit über hundert Klagen eingereicht wurden, warten die Klagenden und der VPOD seit langem auf einen Entscheid des Spitalrates. Auch dort ist damit zu rechnen, dass der Weg danach weitergehen wird ans Verwaltungsgericht des Kantons und von dort dann wohl ans Bundesgericht. Und die Mühlen der Gerichte mahlen bekanntlich langsam. Für die betroffenen Angestellten heisst das, dass ihre Umkleidezeit weiterhin Tag für Tag als Gratisarbeit geleistet werden muss. Und für die betroffenen Spitäler bedeutet es, dass sie Tag für Tag auf Kosten der Angestellten sparen.

Hintergrundinformationen unter https://zuerich.vpod.ch/umkleiden