Schaulaufen statt Sofortmassnahmen?

Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) wehrt sich in der NZZ gegen Vorwürfe von Bundesrat Berset, weil im Kanton Zürich immer noch nicht notwendige Operationen durchgeführt werden. Sie lässt verlauten: «Es werden selbstverständlich jederzeit ausreichend Reservekapazitäten bereitgehalten.» Das darf und muss bezweifelt werden, die Berichte von der Covid19-Front zeigen. Der VPOD fordert Schutzmassnahmen für das Gesundheitspersonal.

Bespiel 1: Die private Klinik im Park. Hier werden immer noch Brustimplantate gemacht und Liposuction und Labien-Verkleinerungen am Fliessband durchgeführt. Da die Hirslanden-Klinik elektive Eingriffe heruntergefahren hat, sind viele operierende Ärzte nun an der Klinik im Park, wo der Betrieb hochgefahren wurde. Hauptsache die Kasse stimmt – beim Spital und bei den Ärzten. Das Personal hat nichts davon – ausser erhöhtem Stress.

Beispiel 2: Das Universitätsspital Zürich USZ. Auf den Abteilungen stecken sich auf den Bettenabteilungen vermehrt Patient*innen mit dem SarsCoV2 an. Bei der ersten Welle im Frühjahr wurden Doppelzimmer nur einzeln belegt. Nun sind die Abteilungen voll, die Zimmer werden teilweise deshalb wieder doppelt belegt und es gab Übertragungen von Patient*in zu Patient*in. Bis die Eintrittstests vorliegen, ist die Ansteckung eventuell schon passiert. Die Patient*innen haben zwar Maskenpflicht, sobald sie ihr Bett verlassen oder jemand ihrem Bett näher kommt, aber das reicht offensichtlich nicht. Und nicht alle Patient*innen können die Maskenpflicht vorschriftsgemäss umsetzen.

Woran es aber vor allem mangelt, sind nicht Betten oder Beatmungsgeräte, sondern qualifiziertes Personal, das sich um die Intensivpatient*innen kümmern kann. Der Pflegenotstand war schon vor Corona längst ein Thema. Aber die Pandemie legt jetzt schonungslos all die Schwächen auf, die das Gesundheitswesen seit Einführung der Fallpauschalen und der dadurch verursachten Ökonomisierung plagen. Die politisch gewollte Konkurrenz unter den Spitälern über finanziellen Druck hat zu einer Ausdünnung des Personals geführt. Die Situation des verbleibenden Personals wurde immer schwieriger, so dass immer mehr Pflegefachkräfte und andere Angestellte im Gesundheitswesen sich zurückzogen, ihre Stellenprozente reduzierten oder den Beruf ganz verlassen haben. Der schleichende Pflexit ist längst Realität und wird jetzt brutal offensichtlich.

Eine Schnellbleiche löst keine Probleme

Nach der ersten Welle im Frühling reagierte die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) mit einem Schnellschuss: Mit Kurzausbildungen sollten in Zusammenarbeit mit den Spitälern Pflegefachkräfte zur Unterstützung des Personals auf den Intensivstationen ausgebildet werden. Die Ausbildung zur Pflegefachkraft auf einer Intensivstation ist aber ein zweijähriger, äusserst spezialisierter Lehrgang und eine Schnellbleiche wie beschlossen bringt hier wenig. Zudem steht die so ausgebildete Unterstützungspflege jetzt den Intensivstationen gar nicht zur Verfügung, weil auf den Abteilungen, wo sie regulär arbeiten, auch zu wenig Personal da ist. Die ganzen Schulungen der letzten Monate waren damit umsonst. Es wird aber weiter geschult. Für den Januar wird eine kurze Einarbeitung auf der IPS geplant. Für Januar! Und bis dann?

Auch Angestellte im Gesundheitswesen können krank werden und sich mit Covid19 infizieren oder zumindest in Quarantäne müssen. Damit steht einer rapide steigenden Zahl von Patient*innen eine ständig sinkende Zahl von Personal gegenüber. Auch der ständig zunehmende Einsatz von Temporärangestellten ist nur ein kostspieliges und unzulängliches tägliches Feuerlöschen auf Kosten der Qualität, um den Betrieb überhaupt noch aufrecht zu erhalten. Temporätangestellte im Careanesth Pool beispielsweise, die im Stundenlohn bezahlt werden, dürfen bis 120% arbeiten, solange die Ruhezeiten eingehalten werden. Auch die erlassenen Aufrufe, sich bei einem Beschäftigungsgrad unter 100% doch zu melden, um für einen Zeitraum mehr zu arbeiten, fruchten wenig, wenn die Arbeitssituation so belastend ist, dass man mehr als das jetzige Pensum gar nicht aushält und man sich dann nicht mehr erholen und regenerieren kann.

Erhöhter Personalbedarf bei weniger Personal

Die Betreuung eines Covid19-Patienten auf einer Covid-Station erfordert rund 2.5 Personen, vor allem Pflegefachpersonal IPS, aber auch Hilfskräfte (Fage usw), um die Versorgung rund um die Uhr (im Dreischichtbetrieb) und die ganze Woche (bei 5 Arbeitstagen mit Ablösung) sicherstellen zu können. Dies ist jetzt schon kaum mehr möglich. Verschärft wird das Problem am USZ durch die Verlegung von Covid19-PatientInnen aus anderen Spitälern, die bereits überlastet sind. Auch die Reha-Kliniken und viele Heime sind überlastet und können Patient*innen aus dem USZ nicht zurücknehmen. Gemäss USZ- Stufenplan befindet sich das Spital jetzt auf Stufe 3 von 5. Damit sollte bereits Unterstützung durch das seit Frühjahr geschulte IPS-Unterstützungspersonal erfolgen. Da die Situation im gesamten USZ aber bezüglich Personalsituation sehr prekär ist, konnte dies bisher nicht umgesetzt werden.

Statt aber hier mit Sofortmassnahmen Gegensteuer zu geben, setzt man auch Selbstinszenierung. Am 7. November kam das Schweizer Fernsehen SRF im USZ vorbei, um für die Sendung Rundschau die Verlegung eines Covid19-Patienten mit der Rega von Lausanne ans USZ zu Filmen. Das Personal wurde kurz informiert und gebeten, gute Werbung fürs USZ machen! Werbung für ein Spital? Um zu zeigen, dass man alles im Griff hat und man weiter alle unnötigen Operationen durchführen könne, nur damit die Kasse stimmt?

Der VPOD fordert deshalb als dringliche Sofortmassnahmen:

  • Einstellung von elektiven Eingriffe, die nicht dringend nötig sind und in Abteilungen/Kliniken, wo dadurch geschultes Personal für die Intensivstationen frei wird. So würde die in den letzten Monaten ausgebildete Unterstützungspflege tatsächlich zur Verfügung stehen. Wo dies geschieht, ist den Angestellten eine Zusatzentschädigung zu bezahlen, denn der Einsatz auf neuen Stationen verlangt hohe Flexibilität und ist anstrengend. Wo Angestellte nicht eingesetzt werden können, sollen sie diese die Zeit für ihre Erholung, für die Familie, für Weiterbildung usw. nutzen können, ohne dass ihnen Minusstunden angerechnet werden.
  • Gesundheitspersonal muss spitalübergreifend eingesetzt werden können, wo es gebraucht wird. Die Gesundheitsdirektion hat dafür eine einfache Lösung zu erlassen.
  • Über eine ausserordentliche Finanzierung durch den Kanton ist sicherzustellen, dass den Gesundheitsinstitutionen durch die Behandlung von Covid-19-PatientInnen kein finanzieller Schaden entsteht. Dabei ist vor allem sicherzustellen, dass ein allfälliger Kostendruck nicht auf das Personal abgewälzt wird.
  • Es braucht ein systematisches Erfassen und Monitoring des Gesundheitszustands des Gesundheitspersonals und eine regelmässige Berichterstattung darüber (physischer und psychischer Druck inkl. Burnout, Rückenschmerzen usw.)

Zudem sind endlich die langfristigen Defizite anzugehen, die mit der aktuellen Pandemie offensichtlich wurden. Es kann nicht sein, dass man damit wartet, bis wieder bessere Zeiten kommen, denn die kommen nicht, wenn die Probleme nicht angepackt werden. Konkret fordert der VPOD:

  • eine Anpassung des Finanzierungsmodus an die Bedürfnisse des Gesundheitswesens, der Patient*innen und des Personals, das für unsere Gesundheit zuständig ist.
  • Gesundheitspersonal ist spitalübergreifend als kantonales Personal anzustellen, um es dort einsetzen zu können, wo es gebraucht wird. Die heutige Konkurrenzsituation der Spitäler macht dies unmöglich. Eine Kantonalisierung des Gesundheitswesens wäre dringend nötig.
  • eine Ausbildungsoffensive bei gleichzeitiger massiver Verbesserung der Arbeits- und Anstellungsbedingungen, um die Leute auch im Beruf zu halten und den schleichenden Pflexit zu stoppen.

Der VPOD hat die Forderungen des Gesundheitspersonals zusammengetragen und in einem offenen Brief bereits im Frühling an Regierungsrätin Rickli geschickt. Inzwischen haben 3200 Personen diese Forderungen unterschrieben. Seitens Gesundheitsdirektion hat man die Forderungen noch nicht einmal zur Kenntnis genommen, sondern meint einfach, das sei Sache der Spitäler. Aber diese Pandemie und ihre Bewältigung ist keine Sache der Spitäler, sondern sie geht uns alle an. Und nur wenn wir für das Gesundheitspersonal einstehen, können sie auch für uns da sein.