Geflüchtete haben das Wort

Von: Markus Truniger

Zwanzig Geflüchtete erzählten am Samstag, 18. September 2021, auf dem Hirschenplatz in Zürich von erschwerten Bildungswegen im Kanton Zürich. Über 200 Menschen hörten ihren kurzen Erfahrungsberichten zu und verlangten Verbesserungen im Zugang zur Bildung und bei der Integrationsagenda.

Für einmal hörten Einheimische – Menschen aus Bildungswesen, Politik und Freiwilligenarbeit – zu. Geflüchtete berichteten von einem Bühnenwagen herunter, wie sie ihren Weg durch das Schweizer Bildungssystem trotz Schwierigkeiten gefunden haben – oder auch nicht. Ihr Bildungsdurst und Einsatz für eine bessere Zukunft trotz bürokratischen Hindernissen machen nachdenklich und sollen kantonale und nationale Entscheidungstragende inspirieren.

«Mein Pech war es, dass ich etwas über 16 Jahre alt war, als ich in die Schweiz gekommen bin. So wurde ich nicht mehr in eine ‘normale’ Schule aufgenommen», sagte beispielsweise ein 19-jähriger Mann. Ein 22-Jähriger, der in Afghanistan nie eine Schule besucht hatte, berichtete: «Die Kirche hat mir einmal pro Woche einen gratis Deutschkurs angeboten» – was viel zu wenig ist, um Bildung nachzuholen. Eine junge Frau aus der Türkei wunderte sich: «Der Sozialchef einer Gemeinde sagte mir einmal: Du bist Ausländerin und musst nicht so gut Deutsch können, du musst arbeiten!" Eine 31-jährige Frau erzählte: «Eigentlich braucht man für eine Pflegeausbildung ein B2-Deutsch-Zertifikat. Dieser Deutschkurs wurde mir aber nicht bezahlt.» Eine 23-jährige Frau aus Syrien sagte: «Ich brauchte einige Zeit, um zu verkraften, dass ich als Vorläufig Aufgenommene mein Medizinstudium nicht wiederaufnehmen durfte.»

Die Erfahrungsberichte veranschaulichen die Forderungen der breit getragenen nationalen Kampagne «Bildung für alle – jetzt!» (www.bildung-jetzt.ch)

«Für alle», weil der Zugang zur Bildung für viele Geflüchtete wegen Aufenthaltsstatus, Alter oder fehlender Anerkennung von mitgebrachtem Wissen blockiert wird. «Jetzt!», weil viele Geflüchtete Jahre verlieren, bevor sie einen ausreichenden Zugang zu Deutschkursen und Bildung erhalten.
An der Kundgebung fanden sich neben Geflüchteten über 200 Menschen ein, die als Lehrpersonen oder als Freiwillige Geflüchtete unterrichten und begleiten. Sie bestätigten die systematischen Lücken und den Verbesserungsbedarf im staatlichen Bildungsangebot für Geflüchtete. Engagierte aus Hilfswerken und Geflüchtete verlangten gemeinsam: Jeder Mensch muss ein gleiches Recht haben zu lernen, sich zu bilden und eine geeignete Ausbildung zu machen. Denn es nützt nicht nur den Betroffenen selbst, sondern unserer Gesellschaft insgesamt, wenn alle Geflüchteten Zugang zu einer geeigneten Ausbildung bekommen, gleich ob sie hier bleiben oder in ihr Herkunftsland zurückkehren.

Die Kundgebung wurde von einem Netzwerk von 20 Organisationen organisiert, die alle in Stadt und Kanton Zürich in der Bildungsarbeit mit Geflüchteten tätig sind. Das Zürcher Netzwerk beteiligt sich an der nationalen Kampagne, die eine Petition (Petition — Bildung für alle – jetzt! (bildung-jetzt.ch) lanciert hat. Damit sollen der Bundesrat sowie nationale und kantonale Parlamentarierinnen und Parlamentarier angesprochen werden. Ziel ist es, mit parlamentarischen Vorstössen die rechtlichen und finanziellen Bedingungen in der Bildung von Geflüchteten zu verbessern.

Unterstützende Organisationen:
Autonome Schule Zürich, Capacity, Eritreischer Medienbund, Freiplatzaktion Zürich, HEKS-Regionalstelle Zürich/Schaffhausen, Honorable, Map-F, NCBI, Powercoders, Prointegras, Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich, Singa, Solinetz Zürich und Winterthur, Stiftung Futuri, VoCHabular, VPOD Zürich Lehrberufe, Welcome to School, Werk.Statt.Flucht – mit Unterstüzung der Integrationsförderung der Stadt Zürich


Galerie: Geflüchtete haben das Wort

Fotos Fabio Höhener und Ursula Markus