Nestlé wäscht grüner als grün

Von: Roland Brunner, VPOD-Sekretär Sektion ZH Kanton

Wer am 18. Februar den Tages-Anzeiger durchblätterte, hat wohl auf Seite 10 wie ich den Kopf geschüttelt. Da berichtet TA-Wirtschaftsredaktorin Isabel Strassheim von der Nestlé-Bilanzkonferenz und der Text liest sich, wie wenn er direkt in der Kommunikationsabteilung des «weltgrössten Lebensmittel- und Hundefutterkonzerns» verfasst wurde.

Online hier am 17.02.2022, 12:39

Hauptthema: die CO₂-Reduktion. «Wir müssen jetzt handeln, wichtiger als Pläne sind sofortige Taten», wird Nestlé-Chef Mark Schneider zum Beispiel zitiert. Strassheim bilanziert: «Schneider kann es sich tatsächlich erlauben, als Klimaanwalt aufzutreten. (…) Der Konzern investiert Milliarden in die Erforschung neuer Getreide- und Kakaosorten, die weniger klimaschädlich sind. Und Nestlé ist dabei, 200 Millionen Bäume zu pflanzen. (…) Nestlé nutzt für sein gesamtes Transportwesen vermehrt den Zug sowie zunehmend auch Wasserstofflaster. Eine wesentliche andere Komponente seiner Klimaanstrengungen liegt im Stromsourcing. Für seine Fabriken und Büros weltweit setzt der Konzern auf erneuerbare Energien.»

Wie wenn der Lobhudelei nicht genüge getan wäre, stellt Strassheim dem Artikel unter dem Titel «Wer hätte das gedacht: Nestlé hat sich zu einem Vorzeigekonzern gemausert» noch einen Kommentar zur Seite, in dem sie die Grünwäscherei nochmals bekräftigt (online hier). Nestlé-Chef Mark Schneider wird da in seinem Kampf für die Umwelt Greta Thunberg gleichgestellt. Dass bei Nestlé nicht alles Grün ist, was grün daherkommt, lässt höchstens der letzte Satz des Kommentars vermuten, aber auch der ist mehr als wohlwollend: «Themen wie Babymilchwerbung, Zucker oder Plastikabfall lassen wir deswegen heute für einmal aus.»

Unkritische Berichterstattung, aber kritische Kommentare

Haben wir etwas verpasst? Ist Nestlé jetzt eine Kämpferin für Umweltschutz und wird Mark Schneider nächstens mit Fridays for Future und Extinction Rebellion auf die Strasse gehen? Wohl kaum, wie schon die Online-Kommentare zu den zwei Beiträgen zeigen. So fragt Markus Zimmermann: «Ist das nicht die Firma, die Kaffee aus der ganzen Welt (neu wohl mit Segelschiffen) ins Welschland karrt, um ihn dort in Alu zu verkapseln. Und dann wieder in die ganze Welt verteilt. Wobei dann das Recycling in vielen Weltgegenden nicht funktioniert. (Die Kaffeebohne vor meiner Haustüre würde dann 20'000 km zurücklegen). Oder ist das die Firma, die in armen Ländern Brunnen aufkauft, um dann das PET-ummantelte Wasser teuer zu verkaufen. Oder die Firma, die Armen energieintensiv produziertes Milchpulver schmackhaft macht. Oder die Firma.......» Oder Simon Bieri, der schlicht die Frage stellt: «hat Nestlé die Wasserquellen der lokalen Bevölkerung wieder zurückgegeben oder gewährt ihnen freien Zugang?»

Oder Marcel Ehrhard, der die willfährige Berichterstattung des Tages-Anzeigers so kommentiert: «Nach dem 30.12.21 schon wieder ein Gefälligkeits-Interview bei dem Nestlé versucht, sich ein ökologisches Mäntelchen umzuhängen. Der Wasserskandal von Vittel (Voges) wird nie thematisiert. Da hat Nestlé, unter gefälliger Mithilfe von gewissen lokalen Behörden, Politikern und Ex-Nestle Kadern die lokale Bevölkerung in den Trinkwassernotstand getrieben. Nestlé zieht der lokalen Bevölkerung das Trinkwasser unter den Füssen weg. (…) Hat Nestlé das Problem vor dem Interview zum Tabuthema erklärt oder kennt die Interviewerin den Fall nicht? Anstrengungen im grösseren Umfeld werden dann glaubwürdig, wenn sie auch im kleineren Bereich stattfinden.» Oder kurz und knapp Herbie K.: «Was war da schon wieder mit Nestlé und der Privatisierung der Trinkwasserversorgung? Wer schippert abgefülltes Luxusmineralwasser weltweit über die Ozeane?» Auch P. Schenk fordert: «Verpackungsplastik abschaffen und mit Material aus der Natur ersetzen, Mark Schneider! Sofort!»

Fabian Müller kommentiert den Kommentar von TA-Wirtschaftsredaktorin Isabel Strassheim so: «Dass sich die Journalisten in ihrem sicher gut gemeinten Klimaeifer nun auch noch von Firmen wie Nestlé einlullen lassen, die ohne fossile Energieträger und der Produktion von Unmengen von Methangas nicht existieren würden, lässt tief blicken.»

Nestlé macht Schweizer Politik gegen Mexiko

Viele Leser:innen sind also kritischer und damit auch journalistischer als die TA-Wirtschaftsredaktorin. Und sie haben guten Grund dazu. Während der Tages-Anzeiger sich am Nestlé-Greenwashing beteiligt, brachte die Sendung Temps Présent von Radio Télévision Suisse RTS am 22. Januar einen kritischen Beitrag unter dem Titel «Comment Nestlé influence les autorités suisses». Hier wird detailliert beschrieben, wie Nestlé die Schweizer Politik massiv beeinflusst hat, damit diese in ihrem Interesse in Mexiko interveniert, um eine geplante Lebensmitteldeklaration zu verhindern.

76% der Bevölkerung Mexikos leidet an Übergewicht oder ist schwer fettleibig. Das ist für das mexikanische Gesundheitswesen ein grosses Problem. Mit einer Steuer auf Zucker, Beschränkungen für die Werbung, die sich an Kinder richtet, und jetzt mit einer Lebensmitteldeklaration ähnlich der Gefahrenmeldung auf Zigaretten sollte dem begegnet werden. Gemäss einer Mail der Schweizer Botschaft in Mexiko kam es zu einem Treffen zwischen Vertretern von Nestlé, Ricola, Lindt & Sprüngli und der Botschaft. Gemäss einer weiteren Mail des Seco vom 27. November 2019 wären die geplanten Einschränkungen für Nestlé “nicht vereinbar mit den mexikanischen Gesetzen und internationalen Abkommen».

Nestlé hat sogar das Dokument redigiert, mit dem die Schweiz an einer internationalen Konferenz gegen das mexikanischen Gesetzesvorhaben antrat. Darin ist zu lesen: «Der Gesetzesvorschlag ist zu radikal und restriktiv und entbehrt einer wissenschaftlichen Grundlage. (…) Warnhinweise (…) würden unnötige Ängste bei den Konsumenten bewirken.»

Obwohl auch die USA, Kanada und die EU Druck gegen die Vorlage machten, blieb Mexiko standhaft und setzte das Gesetz durch – gegen die westliche Politik und die Interessen ihrer Grosskonzerne.

Ob diese Geschichte auch ins Greenwashing-Bild der TA-Wirtschaftsredaktion passt?

Veranstaltungshinweis:

Wasser - Grundrecht oder Ware? Über Nestlé und die Kommerzialisierung von Trinkwasser
Gespräch mit Jacqueline Badran (Nationalrätin SP, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission APK) und Dominik Waser (Zürcher Stadtratskandidat Junge Grüne, Zürcher und Klimaaktivist mit Fridays for Future)

Dienstag, 22. März 2022, 19 Uhr, in der Wasserkirche Zürich

Ist Wasser eine Ware, wie das bspw. Nestlé sieht, oder ein Grundrecht, auf das alle Menschen ein Anrecht haben? Was geschieht, wenn Nestlé ganzen Gemeinden das Wasser abzapft? Und wieso beteiligt sich die Schweizer Entwicklungshilfe an solchen Projekten?

Organisiert von: Verband des Personals öffentlicher Dienste VPOD ZH

Anmeldung erwünscht.