Diese Studie "Bedarf an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz. Prognosen bis 2040" des Schweiz. Gesundheitsobservatoriums Obsan (Obsan Bericht 03/2022) zeigt auf 112 Seiten auf, wie sich die beschleunigte demografische Alterung auf den Bedarf an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz auswirkt. Darüber hinaus simuliert die Studie das Potenzial und die strukturspezifischen Auswirkungen einer oft diskutierten Massnahme: die Versorgung von leichtpflegebedürftigen Personen ausserhalb der Pflegeheime. Damit bietet diese Studie eine wichtige Zahlengrundlage für Überlegungen zu den notwendigen Entwicklungen im Bereich der Alters- und Langzeitpflege.
Schon die Einleitung der Zusammenfassung beginnt mit diesem Satz:
Das schnelle und starke Wachstum der älteren Bevölkerung stellt die Alters- und Langzeitpflegestrukturen vor grosse Herausforderungen.
In den nächsten zwei Jahrzehnten beschleunigt sich die Alterung der Bevölkerung in der Schweiz stark. Gemäss dem mittleren Szenario der Bevölkerungsentwicklung (BFS, 2020c) wächst bis 2040 die Altersklasse 65+ um die Hälfte (+52%), während sich die Altersklasse 80+ nahezu verdoppelt (+88%). So wie die geburtenstarken Jahrgänge (1945–1965) der Babyboomer in der Vergangenheit für die Eröffnung neuer Schulklassen verantwortlich wa-ren, werden sie mit dem Eintritt ins höhere Alter die Schaffung von zusätzlichen Kapazitäten der Alters- und Langzeitpflege notwendig machen.
Neben den Pflegeheimen umfasst die Studie und das ihr zugrundeliegende Prognosemodell erstmalig auch die Spitex-Dienste und die intermediären Strukturen sowie Substitutionsflüsse zwischen den berücksichtigten Strukturen. Das Prognosemodell wurde also so konzipiert, dass es den gesamten Sektor der Alters- und Langzeitpflege abdeckt. Auch regionale Unterschiede werden im Modell berücksichtigt. Die Kantone mit einer möglichst ähnlichen Versorgungspolitik im Bereich Alters- und Langzeitpflege wurden mit Hilfe einer Clusteranalyse zu vier Kantonsgruppen zusammengefasst. Der Kanton Zürich gehört dabei in die Gruppe "stationär- und ambulant-orientierte Kantone" (zusammen mit den Kantonen AG, BL, GR, NW, OW, TG, SO und ZG).
Die Prognosen basieren auf Daten aus dem Jahr 2019, dem letzten Jahr, das nicht von der Covid-19-Pandemie beeinflusst wurde. Der potenzielle Einfluss der Pandemie auf die Prognosen wird aber ausführlich diskutiert (Kapitel 7). Kurz gesagt: Die Studie geht davon aus, dass ein Einfluss auf die Prognosen für das Jahr 2030 oder 2040 unwahrscheinlich ist.
Das Fazit der Studie:
Der Bedarf an Alters- und Langzeitpflege wird aufgrund der Alterung der Bevölkerung bis ins Jahr 2040 um die Hälfte (+56%) steigen. (...) Pflegeheime zeigen den stärksten Bedarfsanstieg (+69%). Eine unveränderte Versorgungspolitik würde 54'335 zusätzliche Langzeitbetten bis ins Jahr 2040 erfordern. Dies ent-spricht der Schaffung von +2 587 neuen Betten pro Jahr oder – bei einer gegenwärtigen Durchschnittsgrösse von 59 Betten pro Pflegeheim – schätzungsweise +921 zusätzlichen Pflegeheimen bis 2040 gegenüber dem aktuellen Bestand.
In der Spitex-Pflege werden die Klientinnen und Klienten bis ins Jahr 2040 um +101'921 zusätzliche Personen ansteigen, was einem Wachstum von +52% entspricht. Dies kommt einem jährlichen Zuwachs von +4'853 Klientinnen und Klienten bis ins Jahr 2040 gleich.
In Kurzzeitaufenthalten liegt der Bedarfsanstieg bei +63%, während es bei den betreuten Wohnformen +43% sind.
Gegenwärtig werden in vielen Kantonen Massnahmen diskutiert, welche einerseits dem Wunsch älterer Menschen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu leben, entgegenkommen und andererseits darauf abzielen, den zusätzlichen Bedarf an Pflegeheimbetten zu begrenzen. Aber auch diese Massnahmen entschärfen das Problem nicht wirklich, denn die Studie hält fest:
Eine alternative Versorgung für leichtpflegebedürftige Pflegeheimbewohnerinnen und Pflegeheimbewohner reduziert den zukünftigen Bedarf an Langzeitbetten, stellt jedoch einen erheblichen Bedarfsanstieg in der Spitex und intermediären Strukturen dar.
In den Schlussfolgerungen listet die Studie dann endlich nicht nur den Betten- oder Häuserbedarf auf, sondern kommt auch auf die personelle Seite dieser Herausforderung zu sprechen:
Dieser starke Bedarfsanstieg verdeutlicht nicht nur den zu erwar-tenden infrastrukturellen Engpass, sondern auch den bevorstehenden Personalmangel. So zeigt der aktuellste Pflegepersonalbericht des Obsan und der GDK, dass in den Pflegeheimen bis ins Jahr 2035 über +35 000 zusätzliche Pflege- und Betreuungspersonen benötigt werden, während es in der Spitex über +19 000 sind (vgl. Merçay et al., 2021).
Dazu, wie diese Herausforderung bei den heutigen Anstellungs- und Arbeitsbedingungen zu meistern ist, äussert sich die Studie leider nicht. Da hat der VPOD aber klare Forderungen.
download: Studie "Bedarf an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz. Prognosen bis 2040" des Schweiz. Gesundheitsobservatoriums Obsan (Obsan Bericht 03/2022)