Die Berichte über die katastrophale Personalsituation im Gesundheitswesen reissen nicht ab (siehe unseren Beitrag hier). Es fehlt im Gesundheitswesen nicht an Betten. Von denen gibt es mehr als genug und es sind auch schnell noch ein paar mehr aufgestellt. Aber immer wieder müssen Spitäler Betten oder ganze Abteilungen schliessen, weil das Personal fehlt, um die Patient:innen darin auch zu versorgen. Es fehlt an Personal, weil dieses ausgebrannt ist nach Jahren des Personalmangels, der Pandemie und des ständigen notfallmässigen Einspringens mit Sonderdiensten. Der Pflexit, der Ausstieg aus der Pflege macht die Runde.
Wer es immer noch nicht begriffen hat, liest wohl keine Zeitungen und schaut nicht Fernsehen oder hört Radio, und auch im Internet sind Newsseiten wohl nicht auf dem Programm. Aber was für viele, die im Gesundheitswesen arbeiten, schon lange klar ist, begreifen langsam immer mehr Menschen in der Schweiz: So kann es nicht weitergehen. Längst trifft es nicht nur das Personal, sondern auch die Patient:innen und ihre Angehörigen.
Niemand kann behaupten, man habe es nicht gewusst oder kommen sehen. Trotzdem verweigern die meisten bürgerlichen Politiker:innen immer noch notwendige Massnahmen - sowohl kurzfristig zur Sicherung der Gesundheitsversorgung, als auch langfristig im Umbau weg von einem Finanzierungssystem, das ökonomische Kriterien über die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung stellt. Es fragt doch auch niemand, ob ein Polizeiposten oder eine Feuerwehrwache rentiert. Es braucht sie, deshalb gibt es sie und deshalb finanziert man sie. Das muss endlich auch wieder für unser Gesundheitswesen gelten. Dass gute Leistungen dabei zu einem vernünftigen Preis geliefert werden müssen, versteht sich von selbst.
Die Abstimmung über die Pfegeinitiative, die mit 61,7% im Kanton Zürich und mit 61% schweizweit angenommenen wurde, hat gezeigt, dass wir bei der Bevölkerung eine Mehrheit finden für die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung und genügend Personal mit anständigen Arbeitsbedingungen. Entgegen den oft von rechten Parteien dominierten Parlamenten und Regierungen ist die Bevölkerung bereit, dafür auch einen finanziellen Beitrag zu leisten.
Ein gutes Jahr nach Annahme der Pflegeinitiative ist klar, wo wir stehen und wie es weitergeht:
- Paket 1 mit Aus- und Weiterbildungsmassnahmen ist weitestgehend geklärt. Der Bund will rund 500 Millionen Franken zur Verfügung stellen. Die Kantone müssen sich mit dem gleichen Betrag einbringen. Bund und Kantone sind also gemeinsam in der Pflicht.
- Paket 2 mit Forderungen zur Verbesserung der Arbeits- und Anstellungsbedingungen wird auf die lange Bank geschoben. Zudem hat der Bund klargemacht, dass in unserem föderalen Gesundheitssystem die Kantone für konkrete Massnahmen zuständig sind.
Am 25. Januar hat der Bundesrat bekanntgegeben, wann und wie er die Umsetzung der Pflegeinitiative weiterverfolgen will (Medienmitteilung). Er hat die Ausarbeitung eines neuen Bundesgesetzes und weitere Massnahmen in Auftrag gegeben, mit denen die Arbeitsbedingungen verbessert werden sollen. In zwei Jahren soll der Vorschlag dafür vorliegen. In den Vorgaben des Bundesrates finden sich richtige und wichtige Punkte wie strengere Vorgaben für die Erstellung von Dienstplänen (vier statt wie bisher zwei Wochen im Voraus mit Lohnzuschlägen für kurzfristige Dienstplanänderungen), die Festlegung von Personalschlüsseln mit Vorgaben für den Skill-Grade-Mix oder die Verpflichtung für Gesundheitsbetriebe, mit den Personalverbänden Verhandlungen über Gesamtarbeitsverträge aufzunehmen. Aber es ist zu befürchten, dass vieles davon in den parlamentarischen Mühlen weichgespült wird. Und selbst was dann übrigbleibt, wird frühestens in acht Jahren umgesetzt werden können.
So lange können Personal und Patient:innen aber nicht warten. Die Kantone können und müssen schneller handeln. Dass dies geht, hat die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich bewiesen, als sie den Kinderabteilungen von drei Spitälern vier Millionen Franken zugesprochen hat für dringliche Personalmassnahmen, um so dem Versorgungsauftrag nachkommen zu können.
Während also schnell Geld fliessen soll, um mehr Gesundheitspersonal auszubilden, soll die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf sich warten lassen. Es nützt aber nichts, wenn sich die Drehtüre einfach schneller dreht. Mehr Leute auszubilden, die den Beruf nach der Ausbildung gleich wieder verlassen, weil zwischen dem Gelernten und der täglichen Arbeitsrealität eine riesige Kluft besteht, ändert nichts am Personalnotstand. Auch Image-Kampagnen, wie sie die Spitäler und Arbeitgeberverbände im Moment planen, um den «schönsten aller Berufe» als diesen zu promoten, werden wenig fruchten, solange der Berufsalltag so eklatant dem widerspricht, was die Leute während der Ausbildung lernen.
Nicht die Medien sind schuld am Personalnotstand, weil sie mit ihren Berichten den Beruf schlechtreden würden. Die Medien machen endlich diese Kluft zwischen Anspruch und Realität öffentlich, die seit langem besteht, die aber immer verleugnet wurde. Ein gutes Image muss sich mit einer guten Realität decken, wenn es erfolgreich sein soll. Bei der Realität gilt es anzupacken. Das Vorspiegeln falscher Tatsachen löst kein Problem.
Das Personal, aber auch die Patient:innen-Sicherheit erfordern schnelle Antworten und Sofortmassnahmen zur Verbesserungen der Anstellungs- und Arbeitsbedingungen. Sie scheitern bisher meist an den finanziellen Spielräumen der Gesundheitsbetriebe, die im heutigen Finanzierungssystem in einem sehr restriktiven Korsett funktionieren und rentieren müssen. Sofortmassnahmen können deshalb nur von den Kantonen beschlossen und finanziert werden, denn diese kontrollieren und finanzieren das Gesundheitswesen.
Die VPOD Sektion Zürich Kanton hat deshalb beschlossen, das Projekt einer kantonalen Volksinitiative gegen den sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und die dadurch gefährdete Gesundheitsversorgung zu lancieren. Mittel für dringliche Personalmassnahmen über eine Volksinitiative einzufordern und sie – auch gegen den Willen der Mehrheiten in Regierung und Parlament – durchzusetzen, ist Ziel dieser Initiative.
Am 30. Januar hat der VPOD das Initiativprojekt ersten möglichen Bündnispartner:innen vorgestellt und sie eingeladen, sich daran zu beteiligen. Die nationalen Verbandskonferenz Gesundheit des VPOD, die am 26./27. Januar in Lugano stattfand, hat zudem den Zürcher Antrag angenommen, solche Initiativprojekte in allen Kantonen zu prüfen. Erste Kantone haben bereits zurückgemeldet, bei dieser Kampagne mitzumachen. Schon bald soll es losgehen, denn der Pflegenotstand wartet nicht – auch nicht auf uns.
* Eine Kurzfassung dieses Textes erscheint als Kolumne "Gewerkschaftliche Gedanken" in der Wochenzeitung PS.
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