Im Westen nichts Neues

Von: Roland Brunner, VPOD-Sekretär Sektion ZH Kanton

Was führt dazu, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen kündigen? Welches sind die häufigsten Stressfaktoren? Antworten auf diese Fragen gibt eine neue Umfrage aus den USA.

VPOD-Protest am Züricher Universtitätsspital USZ gegen die auslaugenden Arbeitsbedingungen. Foto: VPOD

Was also belastet das Gesundheitspersonal bei ihrer Arbeit? Was treibt sie zur Kündigung? Diesen Fragen ging das Beratungsunternehmen Grant Thornton nach und befragte mehr als 5'000 Beschäftigte in den USA, darunter 500 aus dem Gesundheitswesen. Wenig erstaunlich: Das Gefühl, nicht wertgeschätzt zu werden, war der Hauptgrund für den Austritt.

Die Gründe, aus denen Mitarbeitende im Gesundheitswesen im Vergleich zu allen Beschäftigten angaben, ihre derzeitige Organisation zu verlassen, waren:

1. Sich nicht wertgeschätzt fühlen
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 31 Prozent (Insgesamt: 22 Prozent)

2. Löhne halten nicht mit der Inflation Schritt
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 27 Prozent (Insgesamt: 23 Prozent)

3. Mangelnde Unterstützung für eigenes Wohlbefinden
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 21 Prozent (Insgesamt: 18 Prozent)

4. Leistungen (einschliesslich Gesundheit, Ruhestand, Freizeit)
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 17 Prozent (Insgesamt: 17 Prozent)

5. Lange Arbeitszeiten
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 17 Prozent (Insgesamt: 15 Prozent)

6. Angst vor Entlassung
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 17 Prozent (Insgesamt: 19 Prozent)

7. Mangel an Aufstiegsmöglichkeiten
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 16 Prozent (Insgesamt: 20 Prozent)

8. «Work-Life-Balance» entspricht nicht meinen Bedürfnissen
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 16 Prozent (Insgesamt: 20 Prozent)

9. Sorge um die Arbeitsplatzsicherheit
Beschäftigte im Gesundheitswesen: 15 Prozent (Insgesamt: 19 Prozent)

Die Belastungsfaktoren dürften in den USA und in der Schweiz, aber auch weltweit, sehr ähnlich sein. So dominiert auch hier der Personalmangel, der vor allem zu Stress am Arbeitsplatz führt. Als Faktoren der Belastung werden angegeben:

  1. Personalmangel
  2. Mein Vorgesetzter
  3. «Work-Life-Balance»
  4. Begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten
  5. Mangelnde Anerkennung
  6. Organisatorische Veränderungen
  7. Unrealistische Erwartungen

Der Newsdienst medinside schreibt zu dieser Studie:

Es ist klar, dass die Ergebnisse aus verschiedenen Gründen nicht 1:1 auf die Schweiz übertragen werden können. In den USA kommt es beispielsweise häufiger vor, dass ein Spital schliesst und Hunderte von Mitarbeitenden auf der Strasse stehen, was die Angst vor Entlassung begründet. Hinzu kommt, dass sich auch die Inflationsrate in den USA auf einem höheren Niveau befindet. Dennoch: Die Belastungsfaktoren dürften in den USA und in der Schweiz, aber auch weltweit, sehr ähnlich sein.

Spitaldirektoren und bürgerliche Gesundheitspolitiker:innen in der Schweiz behaupten gerne , die Pflegeinitiative hätte die Arbeit im Gesundheitswesen schlechtgeredet und dem Image der Gesundheitsberufe geschadet. Deshalb suche man jetzt so händeringend nach qualifizierten Pflegekräften. Die USA hatten keine Pflegeinitiative, aber sie haben das gleiche Problem. Es ist also wohl doch so, dass die Medienberichte und die öffentliche Auseinandersetzung rund um die Pflegeinitiative nicht die Ursache für den Fachkräftemangel sind, sondern dass diese nur öffentlich gemacht haben, was wir längst wussten und immer wieder gesagt haben: Die Arbeits- und Anstellungsbedingungen im Gesundheitswesen müssen endlich grundlegend verbessert werden.

Die fehlende Wertschätzung als erster Grund darf zudem nicht nur als psychologisches Element fehlender Streicheleinheiten geselsen und verstanden werden. Zur Wertschätzung der Arbeit gehören viele der Punkte, die weitere unten aufgeführt werden: Der volle Teuerungsausgleich (Punkt 2), der durch Personalmangel und Spardruck verursachte Arbeitsdruck, der auf Kosten des Soziallebens und der eigenen Gesundheit geht (Punkte 4 und (8) usw. Würden den Angestellten die Wertschätzung entgegengebracht, die sie verdienen und erwarten, dann würden diese Arbeitsbedingungen schnell und deutlich verbessert. Aber in Bern berät man lieber noch ein paar Runden weiter und überlässt es den bürgerelichen Politiker:innen, den Krankenkassen und den Spitaldirektoren, die Mär vom teuren Gesundheitswesen gegen das Personal ins Felde zu führen.

Grant Thornton: «Staffing and well-being factors afflict healthcare workers». State of Work in America 2023.