Es ist Zeit für gemeinsames Handeln, es ist unsere Zeit!

VPOD-Kollegin und SP-Nationalrätin Mattea Meyer trat zum Tag der Arbeit in Winterthur und in Stäfa auf. Hier ihre Rede.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, Geschätzte Anwesende

„Nicht mehr reisen sollen diese demonstrierenden Jugendlichen“, sagt der Millionär, und kauft sich eine neue Yacht. „Besser verhandeln sollen die Frauen bei den Löhnen“, findet der CEO und gönnt sich einen Bonus. „Einen Job suchen, das muss ein Arbeitsloser,“ meint der Industrielle und verkauft seine Firma nach China.

Kennt ihr das? Für alles, was falsch läuft, sollen wir die Verantwortung tragen. Die rechte Mehrheit versucht immer wieder, jeden Kampf gegen Ungerechtigkeiten zur Privatsache zu machen. Sie erklären uns, dass wir selber verantwortlich dafür sind, ein glückliches, sorgenfreies und erfolgreiches Leben zu führen. Ob die Bekämpfung von Armut, Frauenrechte oder die Klimakrise: Die Argumente der Rechten sind immer dieselben: Du bist selber Schuld, du musst dein Verhalten ändern. Das ist perfide – und falsch, weil es in Abrede stellt, dass unser Leben bestimmt wird von politischen Entscheiden. Und es ist eine blanke Lüge, weil auch ihr eigener Reichtum nicht von ihnen kommt, sondern vom Schweiss der Angestellten, von der Ausbeutung der Welt und den Erbschaften vergangener Generationen.

Wer arm und arbeitslos ist, wird grundsätzlich verdächtigt, faul zu sein. Hätten sie sich nur mehr angestrengt, würden sie heute nicht ohne Job dastehen. Hunderttausende Menschen müssen mit dem Gefühl leben, in der Gesellschaft nicht zu genügen. Schweizweit sind 600’000 Menschen von Armut betroffen. Das sind 600’000 zu viel.

Armut und Arbeitslosigkeit ist nicht Privatsache. Es ist die Folge von Entscheiden, die die rechte Mehrheit trifft. Im März hat der Nationalrat zum Beispiel beschlossen, die IV-Kinderrente zu kürzen. Betroffen sind tausende Familien in schwierigen Situationen. In der gleichen Woche hat die gleiche Mehrheit Steuergeschenke von 800 Millionen Franken an reiche Familien verteilt. Oder: Jährlich werden 5-10 Milliarden Franken an Steuern hinterzogen; die rechte Mehrheit weigert sich, etwas dagegen zu unternehmen. Im Vergleich: Die Sozialhilfe kostet knapp 3 Milliarden Franken. Doch angeprangert werden nicht die Mächtigen, die jedes Jahr Milliardenbeträge betrügen. Willkommene Sündenböcke sind die, die sich kaum wehren können. Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen, haben nicht versagt. Wer versagt, ist die rechte Mehrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn mit ihrer Politik sorgen sie dafür, dass Reiche immer reicher werden und alle anderen immer weniger haben.

Ein Grossteil von denen, die mit ihrem Einkommen nur schlecht als recht über die Runde kommen, sind Frauen. Weil Frauen nach wie vor weniger verdienen, weniger bezahlte Arbeit und dafür mehr unbezahlte Arbeit leisten und weil viele Frauen immer noch keine anständige Rente bekommen. Ich erzähle euch gerne wie es läuft: Wenn ich es wage öffentlich zu sagen, dass Gleichstellung noch nicht erreicht ist, kriege ich regelmässig Post von Unbekannten. Die schreiben mir dann, dass ich schweigen soll. Sie belehren mich, dass Gleichstellung erreicht und die gerechte Verteilung von unbezahlter Arbeit Privatsache sei. Nein, das ist es nicht!

Gleichstellung ist nicht Privatsache. Frauen müssen sich nicht „besser verkaufen“, damit sie den gleichen Lohn bekommen. Wer den Frauen für gleichwertige Arbeit nicht den gleichen Lohn zahlt, bricht das Gesetz. Punkt.Frauen müssen auch nicht mehr Spass verstehen oder sich wehren, wenn sie sexuell belästigt werden. Und ein Vater soll auch nicht einfach unbezahlten Urlaub nehmen müssen, um die ersten Lebenstage des eigenen Kindes miterleben zu können. Er soll gleich viel Elternzeit haben wie die Mutter.

Gleichstellung ist nicht ein persönlicher Kampf, der jede und jeder von uns in den eigenen vier Wänden ausfechten muss. Es ist unser gemeinsamer, politischer Kampf! Wir werden erst dann Ruhe geben, wenn Frauen nicht mehr 1000 Franken weniger pro Monat verdienen, nur weil sie Frauen sind. Wir werden erst dann zufrieden sein, wenn es selbstverständlich geworden ist, dass Männer und Frauen Kinder betreuen und ältere Angehörige pflegen. Und wir werden erst dann schweigen, wenn Frauen nicht mehr Angst haben müssen, zuhause verprügelt oder im Ausgang begrapscht zu werden.

Wir sind deswegen keine hysterischen Emanzen oder wehrlose Wesen. Wir wollen nicht ins Militär, sondern wir wollen Frieden auf der Welt. Wir wollen nicht das gleiche Rentenalter, sondern wir wollen mehr Freizeit für alle! Wir wollen nicht als Managerinnen die Angestellten ausbeuten, wir wollen demokratische Betriebe! Und wir sind stolz darauf, mutige und linke Feministinnen und Feministen zu sein. Zeigen wir am 14. Juni, am Frauenstreik, dass wir stark, laut und viele sind! Nicht privat, allein in den eigenen vier Wänden, sondern gemeinsam, draussen auf der Strasse, als starke politische Bewegung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann dieses Gerede der privaten Verantwortung wirklich nicht mehr hören. Aktuell wird auch in der Klimadebatte immer die Selbstoptimierung von jedem Einzelnen von uns verlangt. Es ist bezeichnend, wie Mächtige reagieren. Sie fordern von uns das Unmögliche: In einem zerstörerischen, auf Konsum, Wachstum und Ausbeutung ausgerichteten System widerspruchsfrei zu leben. Doch wir können uns noch so anstrengen. Wir können kein Fleisch mehr essen, mit dem Velo fahren und weniger in die Ferien fliegen. Das alles ist wichtig und möglich. Aber es wird nicht ausreichen, um den Klimakollaps zu stoppen. Denn nicht wir sind es, die mit dem Kohlegeschäft Milliarden abkassieren, für noch ein bisschen mehr Gewinn den Tropenwald abholzen und ganze Landstriche unbewohnbar machen. Solange es für Grosskonzerne legal bleibt, die Umwelt zu zerstören, damit ein paar Aktionäre zufrieden sind, werden wir den Klimawandel nicht aufhalten können. Die Strategie, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, hat nur ein Ziel: Von der Verantwortung der Mächtigen abzulenken, um weiterhin Profit machen zu können auf Kosten unserer Zukunft.

Diese Profitgier trifft zuallererst die, die am wenigsten haben. Menschen in Länder wie Bangladesch, Moçambique, Uganda. Schweizer Konzerne verursachen weltweit unglaubliches Leid. Mit miserablen Arbeitsbedingungen nehmen sie den Menschen das Recht auf ein würdevolles Leben. Mit Steuerflucht vernichten sie Milliarden – Geld, das für Spitäler und Schulen fehlt. Und mit ihrer Ressourcen-Ausbeutung zerstören sie die Lebensgrundlage der dortigen Bevölkerung. Vielen bleibt nur die Flucht. Anders gesagt: Unser Kampf gegen den Klimawandel ist vor allem ein Kampf gegen die Ungleichheit auf dieser Welt! Und es ist ein feministischer Kampf, weil Macht in erster Linie männlich ist und umgekehrt Frauen überdurchschnittlich von Ausbeutung und Armut betroffen sind. Hier wie anderswo.

Die rechte Mehrheit aber tut so, wie wenn Armut ein persönliches Versagen ist, Gleichstellung von privatem Glück abhängt und die Klimakrise mit eigenem Verhalten gestoppt werden kann. Versteht mich nicht falsch: Wir können und sollen Bewerbungen schreiben; wir sollen Diskussionen mit dem Partner führen über Gleichberechtigung und den Abfall trennen. Aber: Wir dürfen nicht akzeptieren, dass über gesellschaftliche Probleme gesprochen wird, als wären sie eine Frage des persönlichen Lebensstils. Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, Armut oder die Klimakrise stoppen wir nicht, indem jeder und jede das eigene Leben optimiert.

Gesellschaftliche Verteilungskonflikte lassen sich nicht durch Selbstoptimierung lösen, sondern nur, wenn wir gemeinsam die politischen Weichen richtig stellen.

Doch solange Reichtum und Macht ungleich verteilt sind, solange bleibt auch die Verantwortung, etwas verändern zu können, ungleich verteilt. Die Mächtigen hätten es in der Hand: Sie könnten damit aufhören, in Erdöl zu investieren, sie könnten dafür sorgen, dass der Reichtum gerechter verteilt wird, und sie könnten damit beginnen, Frauen gleichwertig zu behandeln. Sie tun es nicht, weil sie ihre Privilegien nicht aufgeben wollen.

Aber wir werden unbequemer, liebe Freundinnen und Freunde. Wir lassen es nicht länger zu, dass die Last der Verantwortung auf jeden Einzelnen von uns abgeschoben wird.

Doch wir wissen aus der Geschichte: Wenn diejenigen, die von Ungleichheit profitieren, in die Verantwortung genommen werden sollen, wird es ohne die demokratische Macht der Vielen, von uns allen, nicht gehen. Das zeigen die erfolgreichen Kämpfe für die AHV, für das Frauenstimmrecht oder gegen Atomkraftwerke.

Wir waren am Klimastreik so viele wie noch nie. Wir sind heute viele und wir werden am 14. Juni am Frauenstreik viele sein. Schluss mit der falschen privaten Verantwortung! Es ist Zeit für gemeinsames Handeln, es ist unsere Zeit!