Tagebuch 1: Pflegealltag auf der Intensivstation

Nadine Constantin ist Pflegefachfrau HF. Sie arbeitet als diplomierte Expertin Intensivpflege NDS auf einer Intensivstation des Universitätsspitals Zürich USZ. In unregelmässigen Abständen berichtet sie aus ihrem Arbeitsalltag.

Ein ganz normaler Arbeitstag ohne Covid

Mein Arbeitstag beginnt um sieben Uhr. Ich arbeite auf der Intensivstation und bin Berufsbildnerin. Heute arbeite ich mit einer Studierenden zusammen. Sie steht am Anfang ihres zweijährigen Nachdiplomstudiums. Die Studierende hat schon mehrere Jahre Erfahrung als Pflegefachfrau. Nun absolviert sie die Zusatzausbildung zur Intensivpflegefachfrau. Sie hat erst vor ein paar Wochen damit begonnen.

Heute betreut sie einen Patienten, der einen schweren Unfall hatte und der von Kopf bis Fuss diverse Knochenbrüche hat. Er ist im künstlichen Koma und am Beatmungsgerät angeschlossen. Eine Kontrolle seiner Blutung im Kopf mittels einer Computertomographie ist geplant.

Als erstes macht die Studierende ganz gewissenhaft ihre Antrittskontrolle. Ich beobachte sie dabei, wie sie den Patienten untersucht, alle Infusionen und Geräte kontrolliert. Zwischendurch stellt sie mir eine Frage, möchte, dass ich auch auf die Lunge des Patienten höre. Sie ist unsicher, ob das rasselnde Geräusch, welches sie mit dem Stethoskop hört, Sekret in der Lunge sein könnte. Beim Beatmungsgerät hat sie auch Fragen. Sie ist sich nicht sicher, ob die Einstellungen so korrekt sind oder ob sie etwas verändern sollte.

Danach vergleicht sie die Medikamente mit den Verordnungen. Ich bereite in der Zwischenzeit ein paar Medikamente vor. Anschliessend besprechen wir den Tagesablauf und ihre Lernziele. Ihr Lernziel ist es, heute einen sicheren, gut vorbereiteten Patiententransport zu gewährleisten. Wir wissen, dass der Patient eine Untersuchung hat, aber wann genau diese sein wird, wissen wir noch nicht. Die Visite ist für zehn Uhr geplant, die Familie des Patienten hat sich für vierzehn Uhr angemeldet. Die Physiotherapeutin hat geplant, gegen halb zwölf zu kommen, um alle Gelenke durchzubewegen, damit diese nicht versteifen.

Die Studierende plant, dem Patienten vor der Visite die Zähne zu putzen und ihn zu waschen. Das Bett werden wir während der Untersuchung neu beziehen. Dann liegt der Patient ja auf dem Untersuchungstisch und wir können das Bett ganz einfach frisch machen. Einige Verbände sind auch noch zu erneuern. Wir besprechen, wer wann in die Pause geht. Ich gebe ihr den Auftrag, dass sie sich überlegen soll, was sie für den Transport alles vorbereiten muss und was während eines Transports alles passieren könnte.

Wir lösen uns gegenseitig für eine fünfzehn minütige Pause ab, arbeiten Hand in Hand. Sie gibt mir kleine Aufträge, was ich ihr bringen soll, welche Infusionen ich vorbereiten soll. Ich stelle ihr zwischendurch Fragen über die Medikamente, die sie verabreicht. Kennt sie die Wirkung und Nebenwirkungen?

Um neun Uhr kommt der Anruf der Radiologieassistentin. Wir sollen um viertel vor zehn in der Notfallcomputerthomografie sein. Nun wird es kurz hektisch. Ich informiere die Ärzte, denn die Visite wird sich somit verschieben. Und weil der Patient beatmet ist, muss ein Arzt mit zur Untersuchung kommen.

Ich frage die Studierende, was sie nun vorbereitet. Sie zählt auf, welche Notfallmedikamente sie aufziehen und mitnehmen muss, falls der Patient durch den Transport Probleme mit dem Blutdruck bekommt. Das Transportbeatmungsgerät muss auch geholt und kurz kontrolliert werden. Wir besprechen, welche Infusionen wir mitnehmen müssen und welche Geräte wir für den Transport abhängen können. Der Monitor zur Überwachung von Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung muss unbedingt mit. Genug Sauerstoff und eine Absaugpumpe ist ebenfalls wichtig. Die Absaugpumpe brauchen wir vielleicht, um Sekret aus der Lunge des Patienten zu saugen, sonst könnte es im Beatmungsschlauch hängen bleiben und die Atmung erschweren.

Wir nehmen einen Notfallrucksack mit. Darin sind noch weitere Notfallmedikamente und alles, was man für eine Intubation braucht. Dies ist nötig, falls der Beatmungsschlauch rausrutscht. Wir kontrollieren nochmals, ob alle Schläuche und Kabel gut befestigt sind und während des Transports nicht rausrutschen können.

Wir sind so weit fertig, als um halb zehn der Arzt am Bett steht. Gemeinsam gehen wir nochmals alles durch. Welche Medikamente laufen im Moment, haben wir genug Reserven dabei, welche Medikamente haben wir für den Notfall bereit, ist der Patient im Moment stabil, ist sonst noch etwas zu beachten?
Dann nehmen wir den Patienten an das Transportbeatmungsgerät, schalten die grössere Beatmungsmaschine neben dem Bett aus. Der Monitor ist gut sichtbar auf dem Bett platziert, die Überwachung ist so eingestellt, dass es sofort einen Alarmton gibt, falls sich die Werte des Patienten verändern.

Nun fahren wir los. Der Arzt schiebt das Beatmungsgerät. Ich ziehe das Bett am Fussende. Die Studierende steht am Kopfende des Patienten, schiebt mit einer Hand das Bett und mit der anderen Hand den Perfusorständer, an dem kontinuierlich alle Medikamente und Infusionen über Pumpen verabreicht werden.
So fahren wir langsam los. Hinaus aus dem Zimmer, den Gang entlang, zum Lift, einen Stock tiefer wieder einen langen Gang entlang zum Untersuchungsraum. Dort heben wir den Patienten mit Hilfe der Radiologieassistentin auf den Untersuchungstisch. Immer schön langsam, so dass der Monitor, alle Schläuche und Kabel immer im Blick sind.

Während der Untersuchung müssen wir in einen Nebenraum, um uns selber vor den Röntgenstrahlen zu schützen. Wir behalten den Patienten und seine Werte durch eine Glasscheibe im Blick. Die Untersuchung läuft. Sobald der Radiologe und seine technische Assistentin das OK geben, können wir wieder zum Patienten hinein. Er wird aus der Röhre gefahren, wir sichern und kontrollieren wieder alles, heben ihn zurück ins frisch gemachte Bett und fahren wieder auf die Intensivstation zurück. Das Ganze hat gut eine Stunde gebraucht. Aber es hilft nichts, sich zu beeilen. In der Hektik bleibt man sonst irgendwo hängen, reisst eine Infusion raus oder etwas fällt zu Boden, ist nicht mehr sauber und muss ersetzt werden. Das braucht schliesslich viel mehr Zeit.

Zurück im Zimmer wird alles wieder an den Strom gehängt, die Schläuche wieder sortiert, der Patient fertig gewaschen und gelagert, damit er keine Druckstellen bekommt.
Danach nehme ich mir die Zeit, den Patienten einzucremen, während die Studierende sich überlegt, was sie bei der Visite alles sagen und fragen will. Wir besprechen dies kurz gemeinsam. Anschliessend setze ich mich hin und schreibe eine Reflexion zum Lernziel der Studierenden. War sie gut für den Transport vorbereitet? Hat sie an alles gedacht? Wie hat sie reagiert, als der Patient nach dem Umlagern kurz mit dem Blutdruck gestiegen ist? Was könnte sie nächstes Mal besser machen?

Während die Physiotherapeutin beim Patienten ist, bleibe ich neben dem Bett. So kann ich reagieren, wenn der Monitor oder das Beatmungsgerät Alarm schlagen. Ich kann die nötigen Medikamente verabreichen. Die Studierende zieht sich kurz zurück, um zu dokumentieren, abzurechnen und hoffentlich schreibt sie auch noch ihre Selbstreflexion. Sonst muss sie dies wieder zu Hause in ihrer Freizeit machen. Und besprechen sollten wir den Tag auch noch zusammen.

Es war ein guter Tag, wir kamen durch mit unserer Arbeit, der Patient blieb stabil und die Studierende konnte weiter Sicherheit gewinnen. Wie immer flog die Zeit nur so vorbei und wir sind froh, dass wir alles geschafft haben. Die nächste Schicht löst uns ab. So können wir mit gutem Gefühl in den Feierabend gehen.

Während einer Pandemie leidet das Ausbilden. Die praktischen Ausbildungstage müssen gestrichen werden, werden auf irgendwann später verschoben. Bei der hohen Arbeitsbelastung ist nicht mal Zeit um Fragen der Studierenden zu beantworten. Jeder und jeder muss einfach funktionieren. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, damit in Zukunft nicht noch mehr Fachkräfte fehlen.