Tagebuch 2: Ein Arbeitstag nach den Ferien

Nadine Constantin ist Pflegefachfrau HF. Sie arbeitet als diplomierte Expertin Intensivpflege NDS auf einer Intensivstation des Universitätsspitals Zürich USZ. In unregelmässigen Abständen berichtet sie aus ihrem Arbeitsalltag.

Ich hatte Ferien. Gut erholt aber angespannt bin ich zur Arbeit gefahren. Die Nachrichten von Arbeitskolleginnen sind nicht grad ermutigend.

«Die Schichten waren streng und immer nur schlecht besetzt. Ich hatte zum Glück Nachtdienst, da gings recht gut und wir konnten Pause machen und uns sogar ab und zu hinsetzen.»

«Wir sind mit 4 Ecmos (Herz-Lungen-Maschinen) zugange, vielleicht wird eine ausgebaut. Aber nur 3 Leute die diese bedienen können. Habe Abteilungsverantwortung und zittere jetzt schon»

Was erwartet mich? Und es ist wie befürchtet. Die Abteilung ist voll, alles hoch komplexe Covid-Patient*innen und wir sind zu wenig Leute, vor allem zu wenig qualifiziertes Personal mit der Zusatzausbildung Intensivpflege.

So bin ich an meinem ersten Arbeitstag für 2 Patient*innen verantwortlich. Eine Pflegefach­frau ohne Intensivausbildung unterstützt mich. Zum Glück. Aber trotzdem lastet die Verant­wortung auf mir.

Beide Patient*innen sind beatmet, haben hochdosiert Kreislaufmedikamente laufen. Ein Patient ist an der Herzlungen-Maschine und am Dialysegerät angeschlossen. Die andere Patientin hat spezielle Katheter und Geräte angeschlossen, die den Druck in den Lungenarterien messen. Die Kontrolle all dieser Geräte liegt bei mir und somit auch die Verantwortung, wenn ich etwas übersehe. Einige Geräte muss ich stündlich kontrollieren, nehme immer wieder Blut ab, um Veränderung zu erkennen und die Einstellung der Geräte anzupassen.

Und dies alles mit Schutzmantel, FFP2-Maske und Schutzbrille, die häufig anläuft, weil ich am Schwitzen bin.

Die Stationsleitung löst mich am Vormittag für 15 Minuten ab, damit ich etwas trinken, aufs WC und kurz durchatmen kann ohne Schutzkleidung und mit normaler Maske. Das tut gut. Eigentlich wollte sie den Dienstplan schreiben, aber dazu kommt sie nicht. Auf den Plan müssen wir wahrscheinlich noch länger warten. Aber zum Glück löst sie mich kurz ab. Ich habe einen ganz trockenen Mund.

Wäre sie nicht gekommen, hätte ich nicht aus der Isolationszone gehen können. Heute ist keine Kollegin mit der entsprechenden Ausbildung hier, die mich ablösen könnte. Für die Betreuung der Herz-Lungen-Maschine braucht es neben der Fachausbildung Intensivpflege eine zusätzliche Weiterbildung und Einführung. Man muss sofort reagieren können, wenn etwas ist. Steht die Maschine still, wird es innert weniger Minuten lebensgefährlich für den Patienten, die Patientin. So muss immer jemand in der Nähe sein, der dieses Gerät bedienen kann. Solches Personal fehlt jedoch. Es ist Tag für Tag ein Hochseilakt – mit der ständigen Angst abzustürzen, ohne Netz.

Nach meinem Dienst bin ich völlig fertig. Ich kam nicht nach mit der Arbeit, war trotz ständigem Beeilen mit meiner Arbeit hintendrein, musste Prioritäten setzen, abschätzen was in jedem einzelnen Moment wichtiger ist. Es kam viel Ungeplantes dazwischen, Untersuche, eine neue Sonde musste gelegt werden, neue Medikamente kamen dazu.

Seit Jahren gibt es immer weniger Personal an den Betten. Es hat schicht zu wenig Ärzt*innen und Pflegepersonal für die anfallende Arbeit.

Händeringend werden Fachkräfte gesucht. Der Temporärmarkt ist ausgetrocknet, es werden vorübergehend Praktikant*innen eingestellt, die beim Betten und Lagern helfen können, Medikamente vorbereiten. Aber die ganze Verantwortung für die Patient*innen und auch für diese Hilfskräfte bleibt an immer weniger qualifizierten Expert*innen Intensivpflege hängen. Darunter leiden wir. Darunter leiden am Schluss auch die Patient*innen und ihre Angehörige, wenn wir keine Zeit für die zwischenmenschlichen Kontakte mehr haben.

Wieso werden die Arbeitsbedingungen nicht verbessert? Wieso reagiert niemand?